Bei der 36. Parabelflugkampagne der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, die vom 04. bis zum 11. Juni vom Flughafen in Paderborn aus stattfindet, werden unter anderem verschiedene Technologietests für die „Cosmic Kiss“-Mission des deutschen ESA-Astronauten Matthias Mauer vorab in Schwerelosigkeit durchgeführt. Dazu gehören „Retinal Diagnostics“ zur Augengesundheit von Astronauten und „Thermo-Mini“ zur Messung der menschlichen Körpertemperatur bei Weltraummissionen. Matthias Maurer wird im Herbst zur Internationalen Raumstation ISS starten. „Außer den beiden Technologietests sind auf dem Parabelflug wieder viele spannende Forschungsthemen mit dabei“, verspricht Dr. Katrin Stang, Leiterin des Parabelflugprogramms der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. „Wir haben acht Experimente aus den Bereichen Humanphysiologie, Technologie und Physik an Bord.“
Retinal Diagnostics und Thermo-Mini: Gesundheitsvorsorge bei Weltraummissionen
Zu den Technologietests, die Matthias Maurer während seiner Mission auf der ISS durchführen wird, gehört „Retinal Diagnostics“, ein Forschungsprojekt zur Augengesundheit von Astronautinnen und Astronauten des DLR-Instituts für Luft– und Raumfahrtmedizin in Köln. Eine Veränderung an den Sehnerven ist eine der schwerwiegendsten Beeinträchtigungen, die Menschen auf Raumflügen erfahren können. Im Experiment auf der ISS soll daher zur Vorsorge und Diagnostik der Sehnervenkopf eines Astronauten mittels Aufnahmen mit einer sehr kleinen, leichten Kamera vermessen werden. Dies soll es ermöglichen, Änderungen nachzuverfolgen, aber auch den Erfolg von eingesetzten Gegenmaßnahmen ermitteln zu können.
Auf dem Parabelflug wird die Handhabung der Kamera und des Zubehörs getestet. Zukünftig soll mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz das Gerät selbsttätig feststellen können, ob entsprechende Veränderungen am Auge des Astronauten oder der Astronautin vorliegen.
Ein weiterer Technologietest für die „Cosmic Kiss“-Mission ist Thermo-Mini. Mit dem System können die Wissenschaftler kontinuierlich die Körperkerntemperatur beim Menschen aufzeichnen. Bis dato wurde festgestellt, dass der Aufenthalt im All und dortige Aktivitäten zu einem signifikanten oder gar bedrohlichen Anstieg der Körperkerntemperatur führen. Die genauen Ursachen hierfür sind bislang unbekannt. Der Temperaturanstieg stellt eine potentielle Gefahr für Astronautinnen und Astronauten dar. Die miniaturisierte Hardware kann bequem als Stirnband getragen werden. Im Parabelflug wird das neue Modell rein technologisch auf seine Funktionalität getestet.
Gendergerechte Medizin mit dem Experiment „STRONG“
Ein Wissenschaftsteam vom LMU Klinikum München führt mit dem Projekt „STRONG“ ein Experiment zur so genannten „Gender-Medizin“ durch, die geschlechtsspezifische Unterschiede im täglichen medizinischen Alltag beachtet. Mit diesem Forschungszweig soll die gängige Praxis geändert werden, in der sich Medikamente, medizinische Diagnosen und Behandlungsansätze vor allem an männlichen Patienten orientieren.
Das Team des LMU Klinikums hatte in der Vergangenheit Stressreaktionen von männlichen Probanden auf den Wechsel von normaler und doppelter Schwerkraft sowie Schwerelosigkeit im Rahmen eines Parabelflugs erforscht. Mit dem Experiment „STRONG“ untersuchen die Wissenschaftler nun gezielt die hormonellen und immunologischen Reaktionen im weiblichen Körper auf den durch die unterschiedlichen Schwerkraftbedingungen hervorgerufenen Stress.
Deutsch-französische Kooperation bei TEKUS
Im Rahmen einer deutsch-französischen Kooperation werden im Projekt „TEKUS“ Experimente durchgeführt, bei denen der Wärme- und Stofftransport in einer Flüssigkeit unter Schwerelosigkeit untersucht wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Cottbus und der Universität Le Havre in Frankreich erzeugen hierfür durch Anlegen eines elektrischen Feldes und eines Temperaturunterschiedes eine kontrollierte Strömung in einem Fluid. Mit den Erkenntnissen aus den Experimenten lassen sich beispielsweise Wärmetauscher optimieren. Wärmetauscher werden beispielsweise in Kühlsystemen oder Gasthermen eingesetzt.
Während die Untersuchungen auf der Erde durch schwerkraftgetriebene Strömungsbewegungen überlagert werden, können die Effekte unter Schwerelosigkeit während des Parabelfluges ungestört beobachtet und mit Computermodellen verglichen werden. Die Experimente werden mit einer neuartigen Messtechnik durchgeführt und stellen wichtige Voruntersuchungen für ein weiteres Experiment dar, das im Herbst 2021 auf der Höhenforschungsrakete TEXUS-57 fliegen soll.
Die nächste DLR-Parabelflugkampagne wird vom 14. bis zum 24. Juli 2021 vom Flughafen in Paderborn aus mit zehn Experimenten aus den Bereichen Humanphysiologie, Biologie, Physik, Materialwissenschaften und Technologie stattfinden.
Der DLR-Parabelflug
Seit 1999 organisiert die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR regelmäßig Parabelflüge für biologische, humanphysiologische, physikalische, technologische und materialwissenschaftliche Fragestellungen. Das Forschungsflugzeug, der A310 ZERO-G der französischen Firma Novespace, wird jeweils ein- bis zweimal jährlich für wissenschaftliche Kampagnen des DLR, der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der französischen Raumfahrtagentur CNES genutzt. Eine DLR-Parabelflugkampagne besteht in der Regel aus drei Flugtagen mit zirka vier Flugstunden, an denen jeweils 31 Parabeln geflogen werden. Während jeder Parabel herrscht für etwa 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Insgesamt stehen bei einer Flugkampagne etwa 35 Minuten Schwerelosigkeit – im Wechsel mit normaler und nahezu doppelter Erdbeschleunigung – zur Verfügung, die Forscher für ihre Experimente nutzen können. Bis zu 40 Wissenschaftler können an einem Flug teilnehmen, bei dem sich zwischen zehn und 13 Experimenten an Bord befinden.