82-jähriger Pilot verunglückt mit Morane vor Papenburg

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Bei einem Überlandflug von Norderney (EDWY) nach Leer-Papenburg (EDWF) verlor der Luftfahrzeugführer mit hoher Wahrscheinlichkeit gesundheitsbedingt die Fähigkeit zur Führung des Luftfahrzeuges. Ein an Bord befindlicher Hund wurde verletzt im Wrack aufgefunden.

Das Flugzeug hatte sich dem Boden genähert und war aufgeschlagen. Der Pilot wurde tödlich verletzt und das Luftfahrzeug zerstört.

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 27.08.2017
  • Ort: in der Nähe des Flugplatzes Leer-Papenburg
  • Luftfahrzeug: Flugzeug
  • Hersteller / Muster: Societe de Construction d` Avions de Tourisme (Socata) / Morane MS 883
  • Personenschaden: Luftfahrzeugführer tödlich verletzt
  • Sachschaden: Flugzeug zerstört
  • Drittschaden: Flurschaden

Sachverhalt und Ereignisse und Flugverlauf

Das Flugzeug Morane MS 883 startete um 11:22 Uhr auf dem Verkehrslandeplatz Norderney (EDWY) zu einem Überlandflug nach Leer-Papenburg (EDWF). An Bord waren der Luftfahrzeugführer und ein Hund. Gegen 11:40 Uhr beobachteten mehrere Besucher eines Flohmarktes in der 15 km östlich von Emden gelegenen Ortschaft Simonswolde ein in rund 80 Meter Höhe fliegendes Flugzeug. Die Zeugen gaben an, dass das Flugzeug von Norden nach Süden flog, der Motor nicht “rund” gelaufen sei und “Aussetzer” gehabt habe.

Um 12:10 Uhr meldete der Triebwagenführer einer zwischen Leer und Emden verkehrenden Regionalbahn, dass er “ein Flugzeug am Boden nördlich der Bahntrasse im Bereich der Ortschaft Moormeerland” gesichtet habe. Eine gegen 12:30 Uhr eingetroffene Polizeistreife fand das zerstörte Luftfahrzeug. Darin befanden sich der tödlich verletzte Luftfahrzeugführer und ein verletzter Hund. Zeugenaussagen zum Unfallhergang lagen nicht vor. Das Kartenbild zeit den kürzesten Flugweg zwischen Start- und Zielort sowie Unfallstelle.

Angaben zu Personen

Der 82-jährige Flugzeugführer war Inhaber einer Lizenz für Privatpiloten PPL (A), die am 29.04.2013 in eine unbefristete Lizenz, ausgestellt nach den Regelungen der Europäischen Union, umgeschrieben wurde. In die gemäß Teil FCL nach ICAO-Standards erteilte Lizenz war die Klassenberechtigung für einmotorige Flugzeuge mit Kolbentriebwerk (SEP land), gültig bis zum 30.04.2019, und eine Instrumentenflugberechtigung (IR), gültig bis zum 30.04.2018, eingetragen.

Ferner waren eine Kunstflugberechtigung (Aerobatic) und Schleppberechtigungen zum Schleppen von Segelflugzeugen (ST A) und Fangschlepp (BT A) eingetragen. Ein an der Unfallstelle vorgefundenes flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis, ausgestellt am 21.12.2015, war für die Tauglichkeitsklasse 2 bis zum 04.02.2017 und für Tauglichkeit LAPL bis zum 20.03.2018 gültig. Laut Auskunft der fliegerärztlichen Untersuchungsstelle fand die letzte fliegerärztliche Untersuchung am 20.03.2017 statt, bei der ein neues Tauglichkeitszeugnis ausgestellt wurde.

Der Luftfahrzeugführer hatte die Morane MS 883 am 22.08.2017 vom Flugplatz Barssel (EDXL) nach Norderney überführt. Er war Miteigentümer in einer aus zwei Personen bestehenden Haltergemeinschaft. Informationen zur Flugerfahrung und aktueller Inübunghaltung lagen der BFU nicht vor.

Nach Informationen von Zeugen aus dem fliegerischen Umfeld des Piloten soll er als ehemaliger Berufspilot und langjähriger Fluglehrer über eine Flugerfahrung von mehr als 5.000 Stunden verfügt haben. In den Akten der lizenzführenden Luftfahrtbehörde war mit Stand 1990 eine Flugerfahrung von 3.720 Stunden dokumentiert.

Angaben zum Luftfahrzeug

Das Flugzeug war ein viersitziger, einmotoriger, freitragender Tiefdecker in Metallbauweise und festem Dreibeinfahrwerk. Es war mit einem Festpropeller, einem Kolbentriebwerk sowie automatischen Vorflügeln und Fowlerklappen für den Langsamflug ausgerüstet.

Die mit einem 115 PS starken Lycoming-O-235-C2A-Motor ausgestattete Morane MS 883 des Herstellers Socata wurde 1971, mit der Werknummer 1 684, in Frankreich hergestellt. Das Luftfahrzeug verfügte über zwei Tragflächentanks mit einem Fassungsvermögen von zweimal 92 Liter, von denen pro Tank 85 Liter ausfliegbar waren. Der Kraftstoffverbrauch pro Stunde ist drehzahlabhängig. Laut Angaben des Miteigentümers betrug der Kraftstoffverbrauch beim Reiseflug ca. 22 Liter pro Stunde. Das Flugzeug war in Deutschland für den nichtgewerblichen Verkehr zugelassen und wurde in privater Halterschaft betrieben.

Die Lufttüchtigkeitsprüfung wurde letztmalig am 10. August 2017 bei einer Betriebszeit von 1.984 Stunden und 3.497 Starts bescheinigt. Das Luftfahrzeug war vom 09.09.2013 bis zum 08.08.2017 stillgelegt. Nach der erneuten Zulassung wurden zwischen dem 08.08.2017 und dem 22.08.2017 insgesamt fünf Flüge mit knapp zwei Stunden Flugzeit durchgeführt. Der vorletzte Flug war ein ca. 30-minütiger Überführungsflug vom Flugplatz Barssel nach Norderney. Nach Information des Miteigentümers waren vor dem Start in Barssel 55 Liter Kraftstoff an Bord, von denen 25 Liter nachgetankt worden waren. Informationen, ob das Flugzeug danach in Norderney nochmals betankt wurde, lagen der BFU nicht vor.

Eine leicht hängende Tragfläche im Reiseflug, z.B. begünstigt durch fehlende korrigierende Steuerungseingaben des Piloten kann auch bei Kraftstoffmengen die mehrere Liter über der nicht ausfliegbaren Restkraftstoffmenge von sieben Litern liegen, die Kraftstoffzuvor beeinflussen. Nach Angaben des Miteigentümers der Morane MS 883 habe es in 20 Jahren Betrieb des Luftfahrzeuges keine Vergaservereisungen gegeben. Eine vollständige Dokumentation der durchgeführten Flüge im Bordbuch lag nicht vor.

Meteorologische Informationen

Laut Routinewettermeldung (METAR) von 11:20 Uhr des in der Nähe liegenden Flugplatzes Wittmund (ETNT) betrug die Bodensicht bei einem bewölkten Himmel mehr als zehn Kilometer. Die Temperatur betrug 19 Grad Celsius und der Taupunkt lag bei 13 Grad Celsius. Der Wind kam mit zehn Knoten aus Richtung 300 Grad.

Flugdatenaufzeichnung

Das Luftfahrzeug war weder mit einem Flugdatenschreiber (FDR) noch mit einem Cockpit Voice Recorder (CVR) ausgestattet. Beide Aufzeichnungsgeräte waren nach den gültigen luftrechtlichen Regelungen nicht gefordert. Die Flugsicherung konnte keine Radarspuren vom Flugweg des Luftfahrzeuges ermitteln.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die Unfallstelle lag rund vier Kilometer nördlich des Flugplatzes Leer-Papenburg. Der Abstand zur Ortschaft Simonswolde, von wo aus die Beobachtungen zum Flugweg und zur Flughöhe gemacht wurden, betrug ebenfalls rund vier Kilometer. Das Wrack lag auf einer leicht wallartig erhöhten Brachfläche, an die sich nördlich Grünland und südlich ein Entwässerungsgraben sowie ein Bahndamm anschlossen. Die Längsachse des Flugzeuges war mit dem Bug nach Norden ausgerichtet. Das Erdreich war durch Kraftstoff kontaminiert.

Rund 400 Meter nördlich der Unfallstelle verlief eine 220-KV-Hochspannungsleitung. Nördlich des Wracks wurden auf einer Strecke von ca. 20 Metern längliche Einkerbungen in der Grasnarbe bzw. im Erdreich festgestellt. In diesem Bereich wurden Teile der Fahrwerksverkleidungen gefunden.

Der vordere Teil des Rumpfes war beidseitig gestaucht, das hintere Rumpfsegment, einschließlich der Leitwerke, war äußerlich unbeschädigt. Das linke Hauptfahrwerk sowie das Bugrad waren nach hinten abgeknickt. Das rechte Fahrwerk war an der Tragflächenwurzel eingeklemmt. Die Motoraufhängung war nach unten verbogen bzw. gestaucht.

Ein Propellerblatt war um ca. 70 Grad nach hinten verbogen, am Spinner und am zweiten Propellerblatt wurden keine Beschädigungen festgestellt. Der Propeller war freigängig. Die Triebwerksaufhängung war vor dem Brandschott um ca. zehn Grad nach unten verbogen. Der Ölstand befand sich im Normbereich. In beiden Flächentanks wurde Kraftstoff nachgewiesen.

Von den Ersthelfern war starker Kraftstoffgeruch wahrgenommen worden. Beim Öffnen des Vergasers durch die BFU lief Kraftstoff aus. Insgesamt wurden 42 Liter aus dem Kraftstoffsystem entnommen, sieben Liter über den Ablassstopfen, 20 Liter aus dem linken und 15 Liter aus dem rechten Tank. Die Zündkerzen zeigten ein rehbraunes Verbrennungsbild und waren trocken. Die oberen Kerzen waren bei der letzten 100-Stunden-Kontrolle neu eingesetzt worden.

Die linke Tragfläche war um ca. zehn Grad nach hinten abgeknickt bzw. abgerissen. In einem Abstand von etwa einem Meter vom Übergang zur Zelle hatte die Vorderkante der linken Tragfläche eine zehn cm tiefe und 40 cm lange Beule. Die rechte Tragfläche war optisch weitgehend intakt.

Die Landeklappen befanden sich in der 0°-Stellung und waren durch das nach hinten geknickte Hauptfahrwerk teilweise gerissen und nach oben verbogen. Der linke Vorflügel war aufprallbedingt eingefahren und verklemmt, der rechte Vorflügel war ausgefahren. Die Querruder befanden sich in Neutralstellung.

Das Cockpit war auf der linken Seite ab der Mittelkonsole leicht nach hinten verbogen. Die Sitze waren optisch intakt. Am Steuerknüppel befanden sich keine Beschädigungen oder Blutspuren. Der Hauptschalter und der Generator waren eingeschaltet, die Zündung stand auf “beide”, die elektrische Kraftstoffpumpe war ausgeschaltet. Der Leistungshebel befand sich vorn am Anschlag, der zugehörige Bowdenzug war durch die abgeknickte Motoraufhängung verzogen.

Der Durchflussregler (Mixture) stand auf “reich”, der Tankwahlschalter war auf “links” geschaltet. Die Vergaservorwärmung war eingeschaltet, der zugehörige Umschaltkasten nach unten abgebrochen. Der Klappenhebel stand auf “null”, die Trimmung war auf “neutral” eingestellt. Der Betriebsstundenzähler zeigte den Wert 2109,85 an. Es gab keine Hinweise auf einen Brand. Am rechten Cockpitpanel war ein Schild mit Frequenz- und Landebahninformationen für Flugplätze in Ostfriesland angebracht. Eine im Flugzeug aufgefundene, nicht mehr intakte Armbanduhr zeigte 11:39 Uhr an. Das Titelbild zeit von Westen auf die Unfallstelle, das Luftbild den Flugweg und die Unfallstelle.

Medizinische und pathologische Angaben

Der Leichnam des Luftfahrzeugführers wurde obduziert. Bei der Obduktion wurde eine aufschlagsbedingte Rückenmarksverletzung als Todesursache festgestellt. Ferner wurde ein “Re-Infarkt” am Herzen dokumentiert. Dieser könnte laut Obduktionsprotokoll am Vortag oder am Vormittag des Unglückstages aufgetreten sein. Der Infarkt sei nicht todesursächlich gewesen, könnte aber zu körperlichen Beeinträchtigungen geführt haben, durch die der Pilot das Flugzeug nicht mehr hätte steuern können.

Weiterhin wurden bei der Obduktion Anzeichen einer Blutzuckererkrankung festgestellt. Durch eine Untersuchung der Asservate (Glaskörperflüssigkeit und Herzblut) wurde eine “diabetische Stoffwechselentgleisung im Sinne eines hyper- oder hypoglykämischen Komas als Ursache einer möglichen Bewusstlosigkeit” ausgeschlossen.

Beurteilung

Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassen und nachgeprüft. Die Abflugmasse sowie der Schwerpunkt lagen im zulässigen Bereich. Angaben zur Inübunghaltung und belastbare Daten zur Flugerfahrung des Luftfahrzeugführers lagen nicht vor. Nach den vorliegenden Informationen wird der Luftfahrzeugführer mit über 5.000 Flugstunden von der BFU als erfahren eingestuft. Aus Sicht der BFU stellen sich Flugverlauf und Unfall wie folgt dar: Nach dem Start in Norderney wählte der Pilot mutmaßlich den direkten Kurs zum Zielflugplatz Leer-Papenburg.

Informationen über die tatsächliche Flughöhe, z.B. durch Auswertung von Radarspuren oder Geräten mit GPS, lagen nicht vor. Die vorliegenden Fakten legen den Schluss nahe, dass der Pilot während des Reisefluges die Fähigkeit zur Führung des Luftfahrzeuges verloren hat und den weiteren Flugverlauf nicht mehr beeinflussen konnte.

So wurde die Morane MS 883 an der Unfallstelle in der Reiseflugkonfiguration vorgefunden und die durch Aufschlagspuren dokumentierte Flugrichtung aus nordwestlicher entsprach in etwa dem Kurs zwischen Norderney und Leer-Papenburg. Auch die Beobachtungen der Zeugen zum Flugverlauf und zur niedrigen Flughöhe stützen diese Annahme. Aufgrund der durch die Obduktion dokumentierten gesundheitlichen Disposition des Luftfahrzeugführers kommen Herzprobleme als Ursache für den möglichen Verlust der Handlungsfähigkeit in Betracht.

Die für den Reiseflug ausgetrimmte Morane MS 883 hat demnach kontinuierlich an Höhe verloren, bis sie in einem flachen Bahnneigungsflug mit dem Gelände kollidierte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine 220-KV-Hochspannungsleitung 400 Meter nördlich der Unfallstelle unterflogen wurde. Die BFU geht davon aus, dass von der Ortschaft Simonswolde, in der Zeugen die Flughöhe der Morane MS 883 auf ca. 80 Meter schätzten, bis zur Unfallstelle eine Flugstecke vom 4.000 Meter zurückgelegt wurde. Das wiederum würde bedeuten, dass die Flughöhe unter der Hochspannungsleitung noch acht Meter betragen hätte.

Ob die Vergaservorwärmung vom Luftfahrzeugführer während des Reisefluges gezogen wurde oder aufschlagsbedingt in diese Stellung gelangte, konnte nicht abschließend geklärt werden. Basierend auf den Feststellungen an der Unfallstelle, u.a. durch ein stark verbogenes Propellerblatt und nachgewiesener Kraftstoff im Vergaser, geht die BFU davon aus, dass das Triebwerk bis zum Bodenkontakt in Betrieb war.

Schlussfolgerungen

Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass der Luftfahrzeugführer während des Fluges mit hoher Wahrscheinlichkeit gesundheitsbedingt die Fähigkeit zur Führung des Luftfahrzeuges verlor und den weiteren Flugverlauf nicht mehr beeinflussen konnte.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Quelle und Bilder, soweit nicht anders angegeben: BFU

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