205 Tage lang verordnete Jens Titze, Professor für Elektrolyt- und Kreislaufforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg mit seinem Team den Mars500-Probanden 2011 während des virtuellen Flugs zum Mars einen strengen Speiseplan. Mal gab es viel, mal gab es wenig Salz in den ausgewählten Nahrungsmitteln. Das unerwartete Ergebnis der bisher längsten Natrium-Stoffwechselstudie: Die Annahme der Ärzte, der menschliche Körper würde das Speisesalz innerhalb von 24 Stunden wieder ausscheiden, ist falsch.
Der Mensch speichert stattdessen das Salz über einen längeren Zeitraum hinweg und gibt es dann wieder frei – für die medizinische Untersuchung und Betreuung von Patienten eine wichtige Erkenntnis. "Wir waren sehr überrascht, dass der Körper beim Salzhaushalt einem mehrtägigen Biorhythmus folgt. Die in unserer täglichen Praxis übliche 24-Stunden-Urinuntersuchung reicht anscheinend nicht aus, um sicher abschätzen zu können, wieviel Salz ein Mensch gegessen hat", sagt Mediziner Titze.
Salz bleibt zunächst im Körper
Titzes Untersuchung gehört zu den elf deutschen Experimenten, die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) über das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) gefördert werden. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift "Cell Metabolism" veröffentlicht.
"Das ist ein kritischer Befund, weil das grundsätzliche Verständnis des Salzhaushalts in der Medizin auf der Idee beruht, dass das Salz in unserer Nahrung sehr rasch über den Urin ausgeschieden wird. Dadurch soll der Salzgehalt des Körpers immer konstant gehalten werden, um so den Blutdruck zu kontrollieren", sagt Titze. "Jetzt finden wir bei Mars500 heraus, dass der Mensch stattdessen ganz unabhängig von der Nahrungszufuhr über Wochen und Monate rhythmisch Salz einlagert und wieder freigibt – ganz ohne Änderung des Blutdrucks." Bereits in den 90er Jahren wurden erste Isolationsexperimente zu diesem Thema durchgeführt – deren Annahmen finden jetzt durch Mars500 ihre Bestätigung.
Definierte Lebensbedingungen im Raumschiff
Um diesen unerwarteten Rhythmen auf die Spur zu kommen, mussten die Probanden jeden Tag einen genau vorgeschriebenen Speiseplan befolgen, jeden Tag 24 Stunden den Urin sammeln – und das über Monate hinweg. Bereits 2009 hatte Titze während des Vorläuferexperiments, bei dem Probanden 105 Tage in Isolation verbrachten, Daten gesammelt.
Neben den Europäern Oliver Knickel, Cyrille Fournier, Diego Urbina und Romain Charles beteiligten sich auch fünf Russen und ein Chinese an dem deutschen Experiment. "Wir sind den Probanden sehr dankbar, dass sie so diszipliniert und genau mitgearbeitet haben", betont Titze. Bisher hatten Mediziner nicht die Möglichkeit, den Salzhaushalt eines Menschen über einen längeren Zeitraum exakt zu untersuchen.
"Unter Alltagsbedingungen kann überhaupt nicht erfasst werden, wie viel Salz ein Mensch über Wochen und Monate zu sich genommen hat." Im simulierten Raumschiff der Mars500-Crew hingegen kannten und kontrollierten Titze und sein Team um Natalia Rakova, Kathrin Jüttner und Friedrich Luft die Lebensbedingungen der Probanden.
"Wir konnten alle anderen Komponenten konstant halten und veränderten nur den Salzgehalt der Nahrung." Mit zunehmender Dauer des Experiments reduzierten die Wissenschaftler die Kochsalzzufuhr von zunächst zwölf auf neun und anschließend auf sechs Gramm täglich. In dem gesammelten Urin analysierten sie dann Kochsalzgehalt sowie die Hormone Aldosteron und Cortisol.
Neue Funktion der Hormone – Niere allein ist es nicht
Die Ergebnisse überraschten die Wissenschaftler selbst: Der Körper scheidet das aufgenommene Kochsalz in einem Wochenrhythmus aus. Zudem speichert er ganz unabhängig von der Kochsalzzufuhr über Monate hinweg Natrium und setzt es wieder frei. Die beiden Hormone Aldosteron und Cortisol scheinen bei der Regulation dieser Rhythmik eine wichtige Rolle zu spielen.
Bisher gingen die Mediziner allerdings davon aus, dass sie eine ähnliche Wirkung haben – die Daten der Mars500-Studie hingegen zeigen, dass die beiden Hormone langfristig wie Gegenspieler mit der Einlagerung und Ausscheidung von Natrium verknüpft sind. "Damit wird klar, dass nicht allein das Ausscheidungsorgan Niere mit der Regulation des Salzgehaltes beschäftigt ist, sondern auch andere und bisher nicht beachtete Körpergewebe beteiligt sind."
Mit den neuen Erkenntnissen tauchen aber auch neue Fragen auf, auf die die Wissenschaftler in Zukunft eine Antwort finden müssen. Warum, wo und wie lagert der Körper Natrium ein? Wieso funktioniert das Hormon Cortisol genau entgegengesetzt zu den bisherigen Annahmen? Und haben Frauen denselben Salzhaushalt wie Männer? In der anderthalbjährigen Studie nahmen nur Männer teil – vergleichbare Daten zu den Reaktionen des weiblichen Körpers fehlen. "Wenn wir uns vom ersten Schreck über die unerwarteten Befunde erholt haben, werden wir diese Fragen angehen", sagt Titze. Eine bestehende Annahme konnte sein Team während Mars500 immerhin bestätigen: Weniger Kochsalz in der Nahrung senkte den Blutdruck, auch bei den gesunden Marsonauten.
Salzhaushalt: Wertvolle Erkenntnisse fürs irdische Leben
Während des simulierten Flugs zum Roten Planeten lieferten die sechs Probanden Daten für zahlreiche Experimente, darunter elf in Deutschland durchgeführte Studien. Wie wirken sich Stress und Isolation auf den Menschen aus? Wie entwickeln sich die Beziehungen innerhalb von Gruppen, die über eine so lange Zeit in der Isolation leben? Welche Faktoren haben einen Einfluss auf den Blutdruck? Welche Konzepte zum körperlichen und geistigen Training erhalten die Leistungsfähigkeit unter extremen Bedingungen am besten?
"Die Forschung für die Raumfahrt bietet auch die Gelegenheit, Erkenntnisse für den Alltag auf der Erde zu gewinnen", betont Dr. Peter Gräf, deutscher Projektleiter für die Mars500-Mission. "Die einzelnen Projekte helfen zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert und leisten so maßgebliche Beiträge für die Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit nicht nur der Astronauten, sondern auch des Menschen in der mobilen und alternden Gesellschaft auf der Erde."
Für einen Flug zum Mars hat sich herausgestellt: Das Zusammenspiel einer Crew während der langen Isolation könnte gut funktionieren. Für die Medizin hat die Mission unter anderem ergeben, dass die bisher übliche Untersuchung zum Salzhaushalt des Menschen nicht ausreicht. Und noch ein erstaunliches Ergebnis hat der simulierte Flug durchs All gebracht: Der Mensch und die Blaualge sind so weit nicht voneinander entfernt – denn die Blaualge hat ebenfalls einen mehrtägigen Rhythmus für die Ausscheidung von Salz. "Zumindest sind wir beruhigt, dass solche Rhythmen auch in anderen Organismen bis hin zu einzelnen Zellen gefunden wurden", sagt Mediziner Titze.