Druckabfall einer Boeing 737 im Steigflug aus Prag

Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten

Am 14.05.2017 um 09:25 UTC startete eine Boeing 737-600 am Flughafen Prag (Tschechische Republik) auf der Startbahn 24, um zum Flughafen Jerba/Zarzis (Tunesien) zu fliegen. Laut den vorliegenden Sprachaufzeichnungen kam es im deutschen Luftraum gegen 09:39 UTC im Steigflug, beim Passieren von Flugfläche 320, zu einem Druckverlust in der Kabine, wobei auch die Passagiersauerstoffmasken ausgelöst wurden.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Schwere Störung
  • Datum: 14. Mai 2017
  • Ort: nahe München
  • Luftfahrzeug: Flugzeug
  • Hersteller / Muster: Boeing / B737-600
  • Personenschaden: ohne Verletzte
  • Sachschaden: keiner
  • Drittschaden: keiner

Ereignisse und weiterer Flugverlauf

Nach Angaben des verantwortlichen Luftfahrzeugführers wurden von beiden Piloten die Sauerstoffmasken aufgesetzt und ein Notsinkflug auf Flugfläche 100 eingeleitet. Laut den vorliegenden Sprachaufzeichnungen informierte die Cockpit Crew um 09:40:14 UTC München Radar über den Notsinkflug (Emergency Descent) und wurde von der Flugverkehrskontrollstelle um 09:40:17 UTC für den Sinkflug auf Flugfläche 100 freigegeben.

Die Crew entschied sich dazu, eine Ausweichlandung am Flughafen München durchzuführen und bereitete hierfür den Anflug auf die Landebahn 26 L vor. Nachdem die Cockpit Crew der Flugsicherung um 09:55:37 UTC mitgeteilt hatte, dass sie für den Anflug bereit sei, wurde die Boeing um 09:55:41 UTC für den Anflug auf die Landebahn 26 L freigegeben: “[…] roger turn left heading two three zero descend four thousand feet cleared ILS two six left”. Die Boeing 737-600 landete gegen 10:05 UTC sicher auf der Bahn 26 L und rollte aus eigener Kraft auf die Parkposition 196.

Nach Auskunft des medizinischen Dienstes des Flughafens München hatten sich keine Passagiere oder Besatzungsmitglieder mit gesundheitlichen Beschwerden gemeldet.

Angaben zu Personen: Verantwortlicher Luftfahrzeugführer

Der 44-jährige Pilot war im Besitz einer gültigen Verkehrspilotenlizenz ATPL(A), ausgestellt durch die tunesische Luftfahrtbehörde (Ministry of Transportation). Seine Lizenz enthielt die folgenden Berechtigungen:

– ME/IR B737 300-800, gültig bis zum 30.06.2017

– TRI/SFI, gültig bis zum 31.03.2020

Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von ca. 12.295 Stunden. Innerhalb der letzten zwei Wochen vor dem Ereignis hatte er mehr als 15 Starts und Landungen. Sein medizinisches Tauglichkeitszeugnis (Medical Certificate 1st Class) war bis zum 30.09.2017 gültig.

Zweiter Luftfahrzeugführer

Der 33-jährige Pilot war im Besitz einer gültigen Berufspilotenlizenz CPL(A), ausgestellt durch die tunesische Luftfahrtbehörde (Ministry of Transportation). Seine Lizenz enthielt die folgenden Berechtigungen:

– ME/IR B737 300-800 gültig bis zum 30.04.2018

Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von ca. 3.344 Stunden. Sein Medical Certificate 1st Class war bis zum 28.02.2018 gültig.

Angaben zum Luftfahrzeug

Die Boeing 737-600 ist das kleinste Modell der in den neunziger Jahren von der Boeing Company entwickelten B 737 Next Generation (NG) Serie. Das Luftfahrzeug verfügt über zwei CFM56-Triebwerke. Die Boeing 737-600 hat eine maximale Abflugmasse von 61.869 kg und kann mit bis zu 149 Passagiersitzen bestuhlt werden. Das Luftfahrzeug wurde am 31.01.2014 in Tunesien zum Verkehr zugelassen. Die letzte Überprüfung der Lufttüchtigkeit (Certificate of Airworthiness) war am 06.03.2017 erfolgt.

Die Boeing 737 verfügt über ein automatisches Warnsystem, welches die Crew im Falle eines Druckabfalls bei einer Überschreitung einer Kabinendruckhöhe von 10.000 ft akustisch warnt. Kommt es zu einer Überschreitung einer Kabinendruckhöhe von 14.000 ft, lösen die Passagiersauerstoffmasken automatisch aus. Die Passagiersauerstoffmasken können durch die Piloten auch manuell ausgelöst werden.

Meteorologische Informationen

Laut den Routinewettermeldungen (METAR) am Flughafen Prag (LKPR) lagen die folgenden Wetterbeobachtungen von 09:00 und 09:30 UTC vor:

  • METAR LKPR 140900Z VRB03KT 9999 FEW030TCU 20/12 Q1020 TEMPO TS SCT030CB=
  • METAR LKPR 140930Z 27004KT 230V360 9999 FEW030TCU SCT035 20/10 Q1020 TEMPO TS SCT030CB

Laut den Routinewettermeldungen (METAR) am Flughafen München (EDDM) lagen die folgenden Wetterbeobachtungen von 09:20 und 09:50 UTC vor:

  • METAR EDDM 140920Z 24004KT 180V290 9999 SC033 BKN090 18/12 Q1022 NOSIG=
  • METAR EDDM 140950Z 24005KT 190V290 9999 BKN030 SCT090 18/11 Q1022 NOSIG=

Funkverkehr

Der Funkverkehr wurde durch die zuständige Flugsicherungsorganisation aufgezeichnet und stand der BFU zur Auswertung zur Verfügung.

Angaben zum Flugplatz

Der Verkehrsflughafen München (EDDM) verfügt über zwei 4.000 Meter lange und 60 Meter breite, parallel verlaufende Start- und Landebahnen mit der Ausrichtung 081°/261°. Der Kontrollturm befindet sich zentral zwischen den beiden Start- und Landebahnen. Die Schwelle der Piste 26 L liegt auf einer Höhe von 1.470 ft AMSL.

Flugdatenaufzeichnung

Das Luftfahrzeug war mit einem Flight Data Recorder (FDR) und einem Cockpit Voice Recorder (CVR) ausgerüstet. Die Daten konnten durch die BFU ausgelesen und ausgewertet werden.

Die Darstellung im Titelbild zeigt das Verhalten des Druckwarnschalters (CABIN ALTITUDE > 10kft) vom Zeitpunkt des Eintritts der Störung bis zum Erreichen einer Flughöhe von 10.000 ft. Die schwarze Linie (ALTITUDE 1013mb) stellt den Verlauf der barometrischen Flughöhe bis zum Erreichen einer Flughöhe von 10.000 ft dar. Beide Packs waren angeschaltet.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug Bei der technischen Untersuchung ließ sich Folgendes feststellen: Die Sauerstoffmasken waren von allen Passagieren sowie der Kabinen- und Cockpitbesatzung benutzt worden.

Als Grund für den Druckverlust wurde ein undichtes Ventil im Übergangsbereich von der APU zur Kabine festgestellt (Bulk Seal am Keel Beam des APU Bleed Duct). Eine weitere Undichtigkeit fand sich im Bereich des L/H-Pack. Das Galeriebild zeigt die gelöste Schelle (Loose Clamp) in Position 2, die sich über dem Bulk Seal in Position 1 hätte befinden sollen.

Beide Kontrolleinheiten für den Kabinendruck (Cabin Pressure Controller, CPC) wurden ausgelesen. Auf beiden war der Fehler “High Cabin Air Leak Rate” gespeichert. Eine der Rahmenbedingungen für die Abspeicherung dieses Fehlers ist, dass eine “Cabin Pressure Rate” (Kabinensteigrate) von mehr als 2.000 SLFPM (Sea level feet per minute) vorgelegen haben muss.

Bei einem abschließenden Druckkabinentest nach Beseitigung der Mängel wurde eine weitere Undichtigkeit an der L/H-Pack festgestellt. Nach Stilllegung der L/H- Pack wurde die Dichtigkeit der Druckkabine festgestellt und das Luftfahrzeug gemäß der Mindestausrüstungsliste (Minimum Equipment List, MEL) für einen Flug ohne Passagiere bis Flugfläche (FL) 250 freigegeben.

Organisationen und deren Verfahren

Die MEL listet alle Funktionen, Instrumente und Systeme auf, die defekt sein können, um ein Luftfahrzeug noch betreiben zu dürfen. Die MEL-Items geben dabei an, wie lange ein System defekt sein darf, bzw. bis wann es wieder repariert sein muss. Die MEL enthält ebenfalls Einschränkungen für den Betrieb des Luftfahrzeuges. Ein Beispiel hierfür wäre der Betrieb eines defekten Luftfahrzeuges ohne Fluggäste, um das Luftfahrzeug zur Werft fliegen zu können. Ist ein System nicht in der MEL verzeichnet, so ist dessen Funktion für den Betrieb des Luftfahrzeuges unbedingt erforderlich. Die MEL muss durch die zuständige Luftfahrtbehörde genehmigt werden.

An dieser Stelle hat die BFU den Untersuchungsbericht summarisch, d.h. ausschließlich mit Darstellung der Fakten, abgeschlossen.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, in Ortszeit. Quelle und Bilder, wenn nicht anders angegeben: BFU.

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