Reinhard Grimm (Executive Vice President ATM Civil bei Frequentis)
Reinhard Grimm ist Executive Vice President ATM Civil bei Frequentis und verantwortet das globale zivile Luftverkehrs-Management (ATM) von Frequentis. Er verfügt über rund 25 Jahre Erfahrung in der IT- und Telekommunikationsbranche, unter anderem bei Siemens Convergence Creators (Wien, Los Angeles, Hamburg). (Quelle: Frequentis)

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Der von hat in den vergangenen drei Jahren 3.000 Tonnen CO₂ eingespart – so viel wie rund 200.000 Bäume in einem Jahr binden könnten. Und das, obwohl sich das Passagieraufkommen in dem Zeitraum verdoppelt hat. Möglich wurde das nicht durch neue Triebwerke oder synthetische Kraftstoffe, denn solche Maßnahmen sind sehr teuer und zeitaufwändig in der Umsetzung. So kosten synthetische Kraftstoffe aktuell dreimal mehr als Kerosin. In Abu Dhabi gelang die Einsparung durch ein digitales Assistenzsystem für im .

Ein oft übersehener Hebel für die der liegt in der Digitalisierung des Luftverkehrsmanagements. Schon kleine Verbesserungen in der Kommunikation und Koordination summieren sich zu spürbaren Einsparungen bei den CO₂-Emissionen.

43 europäische Lufträume – ein Hindernis für das Klima

Die Bevölkerung, nationale Klimaziele und globale Initiativen wie das Pariser Klimaabkommen zwingen Flughäfen und in ganz zum Handeln. Diese haben sich deshalb ehrgeizige Vorgaben gesetzt. Viele wollen ihre Emissionen bis spätestens 2050 drastisch senken oder ganz klimaneutral werden. Doch mit steigenden Passagierzahlen wird das schwieriger – und die Zeit drängt.

Ein großes Hindernis liegt im Aufbau des europäischen Luftraums selbst. Er ist derzeit in 43 nationale Sektoren zersplittert, jeder mit eigenen Regeln und Abläufen. In der Praxis führt das häufig zu Routenverlängerungen durch Umwege für Flugzeuge oder Warteschleifen für Piloten und . Das Ergebnis: zusätzlicher, vermeidbarer Treibstoffverbrauch.

Genau hier setzt die europäische Initiative SESAR (Single European Sky ATM Research) an. Sie bringt Airlines, Flugsicherungen, Flughäfen und Technologieanbieter an einen Tisch, um den zu vereinheitlichen, die Forschung im Bereich Management voranzutreiben und selbstgesteckte Klimaziele zu erreichen. Konkret soll das intelligente Air Traffic Management Flugrouten sowie Abläufe optimieren, sodass der Luftraum effizienter genutzt wird. Dies mindert den Kraftstoffverbrauch – und damit die Emissionen. Zudem kommt es dann zu weniger Verspätungen.

Digitalisierung statt neuer Triebwerke

Die Vorteile eines intelligenten Air Traffic Managements zeigen sich an vielen kleinen, aber in Summe wirksamen Stellschrauben. Ein Beispiel hierfür ist das „Follow the Greens“-System, bei dem grün beleuchtete Taxiway-Lichter Piloten effizient über das Vorfeld des Flughafens leiten. Das System automatisiert die Schaltung von Taxiway-Mittellinienbeleuchtungen und Stopbars, sodass Piloten immer die optimale Route angezeigt wird. Das in Abu Dhabi Airports eingeführte System reduziert die Rollzeiten von Flugzeugen am Boden durchschnittlich um 14 Sekunden pro . Bei 820 Flügen pro Tag summiert sich das zu erheblichen Treibstoff- und CO₂-Einsparungen.

Gleichzeitig verringert sich die Belastung durch Ultrafeinstaub und Feinstaub am Boden, was besonders für die Gesundheit der Bevölkerung in Flughafennähe relevant ist. In Europa sind laut Europäischen Umweltagentur etwa 52 Millionen Menschen in der Nähe großer Flughäfen erhöhtem Ultrafeinstaub ausgesetzt, sodass selbst kleine Reduktionen spürbare Auswirkungen haben.

Optimierte Anflüge und Gleitflug sparen Treibstoff

Eine weitere Maßnahme ist die Just-in-Time-Planung der Anflüge. Dabei sorgt ein digitaler Arrival Manager dafür, dass Flugzeuge lange vor dem Flughafen so eingetaktet werden, dass sie keine Warteschleifen in der drehen müssen. Der Arrival Manager basiert auf einer einheitlichen Plattform, die alle Systeme für und Flughafenbetrieb in einer zentralen Umgebung zusammenführt. Über diese Plattform werden Echtzeitdaten und Workflows zwischen Flugsicherung, Airlines und Bodenservices synchronisiert. So entsteht ein gemeinsamer, stets aktueller Überblick über alle und Ressourcen. Systeme dieser Art sind bereits in , Singapur und erfolgreich im und reduzieren Holding-Zeiten von bis zu 30 Minuten.

In Verbindung mit dem sogenannten Continuous Descent – einem gleichmäßigen Gleitflug anstelle energieintensiver Stufenflüge – ergeben sich zusätzliche Emissionseinsparungen. Maschinen können während des Sinkflugs die Triebwerke auf Idle (Leerlauf) fahren und bis zu 70 Kilometer ohne zusätzlichen Kraftstoffverbrauch gleiten. Technisch wird der Continuous Descent möglich durch eine enge Integration von Flugverkehrsmanagementsystemen mit Wetterdaten, Flugplandaten und Echtzeit-Lokalisierung der Flugzeuge. Gebündelt entstehen aus diesen Daten individuelle Sinkflugprofile, die je nach Verkehrs- und Wetterlage dynamisch angepasst werden. Die so gewonnenen Informationen stehen allen relevanten Akteuren zur Verfügung: Die Flugsicherung im Tower erhält präzise Anflugprofile und Zeitvorgaben, um den Luftraum optimal zu steuern, während die Piloten über Bordinformationssysteme die notwendigen Wegpunkte, Höhenprofile und Sinkflugzeiten erhalten.

Das geht nur, wenn der Anflug schon frühzeitig geplant wird. Laut EUROCONTROL, der europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, können so pro Flug 145 Kilogramm CO₂ eingespart werden. Auf europäischer Ebene summiert sich das auf rund 340.000 Tonnen Treibstoff bzw. 1 Million Tonnen CO₂ jährlich. Zusätzlich wird der Lärm um bis zu 5 dB reduziert.

Wer entscheidet über Nachhaltigkeit im Luftraum?

Die Airlines profitieren erheblich von den Einsparungen – durch kürzere Flugzeiten, weniger Verspätungen und geringeren Kerosinverbrauch – tragen die Investitionskosten aber nicht. Die Entscheidung über Anschaffung und Betrieb liegt allein bei den Flugsicherungen. Diese sind in den meisten europäischen Ländern staatlich organisiert und auf Fördermittel sowie Investitionsprogramme angewiesen.

Die Einführung solcher Air-Traffic-Management-Systeme erfordert erhebliche Anfangsinvestitionen. Große Flughäfen können diese Kosten meist stemmen, kleine Regionalflughäfen hingegen nur schwer. Hinzu kommt die konservative Sicherheitskultur: Neue Technologien müssen jahrelange Tests und Zertifizierungen, wie beispielsweise den EUROCAE-Standard ED-153 zur Software-Sicherheitsassurance, durchlaufen, bevor sie im regulären Betrieb eingesetzt werden. Denn die im Luftraum hat oberste Priorität.

Wichtig ist daher, dass Politik, Flugsicherungen und Airlines zusammenarbeiten, um die Digitalisierung des Luftraums voranzutreiben. Vereinigungen wie SESAR wurden genau hierfür ins Leben gerufen.

Nachhaltigkeit beginnt im Tower

Während viele Einsparungsmaßnahmen wie technische Neuerungen am oder großflächig erschwingliche, alternative Kraftstoffe noch in der Entwicklung stecken oder Hürden bei der Einführung bieten, ist die Situation bei Air-Traffic-Management-Systemen anders. Diese Systeme sind bereits verfügbar und könnten oft innerhalb weniger Monate eingeführt werden. Das gilt besonders für Flughäfen, wo Entscheidungen lokal getroffen werden können und vergleichsweise wenig Abstimmung erforderlich ist. Genau deshalb können Tower- und Airport-Lösungen kurzfristig und spürbar Verbesserungen bringen.

Europa geht mit SESAR schon einen wichtigen ersten Schritt, um die einheitliche Einführung digitaler Assistenzsysteme voranzutreiben. Die Initiative zielt auf länderübergreifende, interoperable Systeme ab, die weitere Einsparungen ermöglichen, und zwar vom Start über den en-route-Bereich bis hin zum Anflug. Dann könnten Einsparungen wie am Flughafen Abu Dhabi Schule machen.

Nils Sörensen
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