Motorsegler-Absturz nach dem Start in Oppenheim

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Der einsitzige Motorsegler startete um 14:14 Uhr auf der Piste 20 des Flugplatzes Oppenheim zu einem Übungsflug in die nähere Umgebung. Der Flugleiter gab an, dass bis zum Verschwinden des Motorseglers aus seinem Blickfeld der Start unauffällig verlaufen sei.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 23. Juli 2014
  • Ort: Oppenheim
  • Luftfahrzeug: Motorsegler
  • Hersteller / Muster: Sportavia-Pützer / SFS 31 Milan
  • Personenschaden: eine Person schwer verletzt
  • Sachschaden: Motorsegler zerstört
  • Drittschaden: geringer Flurschaden

Sachverhalt

Ereignisse und Flugverlauf

Nach Angaben von Zeugen, die sich außerhalb des Flugplatzes Oppenheim befanden, kippte der Motorsegler kurz nach dem Start rund 800 Meter südwestlich des Pistenendes aus einer Linkskurve ab und prallte auf den Boden. Eine Zeugin gab an, dass der Motorsegler vor dem Abkippen in niedriger Höhe nach Norden geflogen sein soll. Der Pilot wurde schwer verletzt und der Motorsegler zerstört. Abb. 2 zeigt den Blick von Süden auf die Unfallstelle (Polizei/ BFU)

Angaben zu Personen

Der 72-jährige Luftfahrzeugführer war seit dem 05.04.2012 im Besitz eines unbefristet gültigen Luftfahrerscheins für Segelflugzeugführer. In die Lizenz waren die Startarten Windenstart und Schleppstart hinter Luftfahrzeugen sowie eine Berechtigung für Reisemotorsegler (TMG) eingetragen.

Ferner verfügte er seit dem 30.03.2012 über eine Lizenz für Luftsportgeräteführer mit dem Eintrag für aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge einschließlich Passagierflugberechtigung.

Seit 2004 war er darüber hinaus Inhaber einer unbefristet gültigen Lizenz für Hängegleiter mit den Startarten Hang und UL-Schlepp. Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war auf der Grundlage einer Sondergenehmigung bis zum 04.04.2015 gültig. Es enthielt folgende Einträge und Auflagen: VML (optimal korrigierende Sehhilfe), SSL (Ausschluss von Kunstflug, Lehr- und Schleppberechtigung), VCL (nur Sichtflug bei Tag), REV (Erlöschen der Sondergenehmigung im Falle eines Anfallsrezidiv).

Von 2001 bis 2012 lag eine Fluguntauglichkeit des Luftfahrzeugführers vor. Zuvor war er bereits seit 1989 Inhaber eines Luftfahrerscheins für Segelflugzeugführer und hatte 2001 eine Lizenz für Luftsportgeräteführer mit dem Eintrag für aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge erworben. Die Gesamtflugerfahrung betrug ca. 984 Stunden bei 2.799 Starts, davon entfielen rund 204 Stunden und 468 Starts auf Reisemotorsegler. In den letzten 90 Tagen hatte er insgesamt 41 Starts absolviert, davon entfielen elf Starts auf Reisemotorsegler und drei Starts auf das Muster SFS 31 Milan.

Angaben zum Luftfahrzeug

Die SFS 31 Milan ist ein einsitziger Motorsegler mit Einziehfahrwerk, der 1970 von der Firma Sportavia-Pützer GmbH & Co. KG in Holzbauweise mit der Werknummer 6603 gefertigt wurde. Das Luftfahrzeug verfügt über eine freitragende, einteilige Tragfläche mit Kastenholm und Sperrholz-Torsionsnase. Höhen- und Seitenleitwerk sind ebenfalls aus Holz gefertigt und können abgeschraubt werden. Die Flossen sind sperrholzbeplankt, die Ruder stoffbespannt.

Die SFS 31 Milan wurde von einem Rectimo-4-AR-1200-Motor angetrieben. Der Motorsegler war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und befand sich in privater Halterschaft.

Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit erfolgte am 10.08.2013. Die Gesamtbetriebszeit betrug 3.676 Stunden bei 4.089 Landungen.

Das Luftfahrzeug hatte ein maximal zulässiges Gesamtgewicht von 440 kg. Die Abflugmasse wurde anhand der zur Verfügung stehenden Daten (Leermasse, Gewicht des Luftfahrzeugführers, Gepäck, Kraftstoff) ermittelt und betrug in Abhängigkeit des mitgeführten Kraftstoffvorrats mindestens 455 kg. Beim Start befanden sich mindestens 29 Liter Kraftstoff (Super Plus) an Bord.

Meteorologische Informationen

Die Bodensicht betrug bei wolkenlosem Himmel über zehn Kilometer. Der Wind kam mit ca. acht Knoten aus 070 Grad und die Lufttemperatur lag bei ca. 28 Grad Celsius.

Die Routinewettermeldungen (METAR) der nahe gelegenen Stationen Frankfurt (EDDF) und Mannheim (EDFM) lauteten:

METAR EDDF 231220 080/14 kt 9999 SCTTCU060 BKN255 28/14 Q1016

METAR EDFM 231220 060/12 kt VRB 030/090 9999 CAVOK 29/13 Q1015

Funkverkehr

Es bestand Funkverbindung mit der Flugleitung in Oppenheim. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.

Angaben zum Flugplatz

Der Flugplatz Oppenheim (EDGP) liegt ca. ein Kilometer südöstlich der Stadt Oppenheim. Er befindet sich in einer Höhenlage von 279 ft AMSL und verfügt über eine 800 mal 30 Meter lange Grasbahn mit der Ausrichtung 020/200 Grad.

Flugdatenaufzeichnung

Der BFU stand ein mobiles GPS zum Auslesen zur Verfügung. Der Unfallflug wurde nicht aufgezeichnet. Die Radaraufzeichnungen der Flugsicherungsorganisation ermöglichten keine Rekonstruktion des Flugweges.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Das Titelbild zeigt die Unfallstelle. Die Unfallstelle des Luftfahrzeuges befand sich rund 800 Meter südwestlich der Flugplatzgrenze von Oppenheim auf einem abgeernteten Getreidefeld. Das ca. 50 Meter lange und bis zu zehn Meter breite Trümmerfeld erstreckte sich in etwa von Ost nach West. In der Mitte dieses Feldes befand sich das Rumpfsegment des Motorseglers.

Das Rumpfvorderteil mit dem Cockpit war zerstört und der Motor war samt Motorträger und Brandschott aus dem Rumpf herausgerissen. Der hintere Teil des Rumpfes mit dem Leitwerksträger war optisch intakt und mit dem Leitwerk nach Osten ausgerichtet. Höhen- und Seitenruder waren angeschlossen und gesichert. Die Steuerung im Rumpfvorderteil war zerstört, die Sicherungen vorhanden und funktionstüchtig. Die Höhenruder-Trimmung im Cockpit stand auf “kopflastig”. Der Rumpftank war deformiert und lag ca. 25 m westlich des Rumpfes und enthielt ca. einen Liter Kraftstoff. Es fanden sich Hinweise auf ausgetretenen Kraftstoff. (Bindemitteleinsatz durch die Feuerwehr).

Ein Propellerblatt war abgerissen und zersplittert, das zweite Propellerblatt befand sich unbeschädigt auf der Nabe und stand auf kleinster Steigung. Teile der Motorverkleidung lagen vor dem Motor. Die Schultergurte befanden sich offen im Rumpf, die Beschläge waren mit dem Rumpf verbunden. Die Schultergurte hatten nahezu die maximal mögliche Länge. Der Bauchgurt war samt Beschlägen aus dem Rumpf herausgerissen und offen. Die beiden Hälften lagen ca. einen Meter voneinander entfernt.

Ein Segment der Tragfläche lag zum Teil unter dem hinteren Teil des Rumpfes, der linke äußere Teil der linken Tragfläche wies Beschädigungen auf. Das Querruder war herausgerissen und die Ober- und Unterseite der Tragfläche war beschädigt. Die Rippen waren gebrochen und die Oberfläche gesplittert. Das linke Querruder war angeschlossen und gesichert.

Das Instrumentenbrett lag zusammen mit dem Motor vor dem Rumpf, es war deformiert. Einzelne Instrumente waren herausgerissen und lagen westlich des Rumpfes. Funkgerät und Transponder waren eingebaut.

Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades im vorderen Bereich des Cockpits konnten keine Aussagen über die Stellung der Hebel gemacht werden. Der Brandhahn wurde in einer Zwischenstellung (etwa in der Mitte zwischen Auf / Zu) vorgefunden. Die Cockpithaube war in mehrere Teile zerbrochen und lag beim Rumpf.

Das Fahrwerk war beim Aufschlag herausgerissen worden, der Fahrwerkskasten lag einige Meter östlich des Rumpfes, der Reifen befand sich unter der rechten Tragfläche. Dort wurde auch das GPS gefunden. Teile des Fahrwerks und der Fahrwerksaufhängung lagen im Bereich ca. 20 Meter östlich des Rumpfes. Der größte Teil des Hauptfahrwerks befand sich 7,40 m östlich des Rumpfes.

Die Untersuchung des Motors ergab keine Auffälligkeiten. Er war durch den Aufschlag erheblich beschädigt worden.

Die Propellerverstellung war verbogen, der Zahnkranz des Anlassers abgerissen und nach hinten gedrückt. Die Stößelrohre waren zum Teil verbogen und beide Ventildeckel aus den Halterungen herausgesprungen.

Der Vergaser war zerstört und aufgerissen, es befand sich kein Kraftstoff darin. Der Kraftstoff-Filter im Filterbrandhahn enthielt eine geringe Menge Kraftstoff. Der Benzinfilter war frei von Verschmutzungen. Die Zündkerzen wiesen ein rehbraunes Verbrennungsbild auf. Die Ölstandkontrolle ergab, dass ausreichend Motoröl im Triebwerk vorhanden war.

Brand

Es entstand kein Brand.

Zusätzliche Informationen

In der Fachliteratur finden sich zum Thema “Dampfblasenbildung” u.a. folgende Angaben:

  • An Tagen mit hohen Lufttemperaturen besteht die Gefahr, dass Teile des Kraftstoffsystems so heiß werden, sodass ein hoher Anteil des Kraftstoffs verdampft. Als Folge kann es zur Bildung von Dampfblasen kommen, durch welche die Kraftstoffversorgung unterbrochen werden kann.
  • Unverbleites Superbenzin neigt aufgrund seiner Zusammensetzung eher zur Bildung von Dampfblasen als verbleites Flugbenzin (Avgas).
  • Ein Faktor, der die Wahrscheinlichkeit von Dampfblasenbildung erhöht, ist das kurzzeitige Abstellen eines zuvor in Betrieb befindlichen Motors. Nach dem Abstellen kann es zu einem Anstieg der Temperatur bis zum Siedepunkt kommen, da keine Kühlung mehr vorhanden ist.
  • Dampfblasenbildung wird durch Schütteln von heißem Kraftstoff sowie durch Vibrieren des Kraftstoffsystems begünstigt.

Beurteilung

Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassen und nachgeprüft. Eine Untersuchung von Zelle und Triebwerk lieferte keine Hinweise auf technische Mängel.

Die Zuladung und der Schwerpunkt lagen außerhalb der im Flughandbuch angegebenen Grenzen. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer hatte die erforderliche Lizenz zur Durchführung des Fluges.

Mit 41 Flügen auf verschiedenen Mustern in den letzten 90 Tagen, davon elf Starts auf Reisemotorseglern und drei Starts auf dem Muster SFS 31 Milan, hatte er prinzipiell einen guten aktuellen Übungsstand. Auch hinsichtlich seiner Gesamtflugerfahrung von knapp 1.000 Flugstunden und rund 2.800 Starts, verfügte der Luftfahrzeugführer insgesamt über eine routinierte Flugerfahrung.

Aufgrund einer 11-jährigen Flugpause bis 2012, bedingt durch eine Fluguntauglichkeit, müssen bei der fliegerischen Gesamtkompetenz dennoch Abstriche bzw. Einschränkungen angenommen werden.

Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis war mit mehreren Auflagen versehen. Die medizinischen Hintergründe der Auflagen lagen der BFU vor. Die Umstände des Unfallhergangs einerseits und die gesundheitliche Disposition des Piloten andererseits schließen einen Zusammenhang nicht aus.

Der Unfallhergang ließ sich durch die Zeugenaussagen nur bedingt rekonstruieren. Auf Grundlage der gemachten Beobachtungen ist aber davon auszugehen, dass der Motorsegler entweder nach Einleiten einer Umkehrkurve abkippte oder der Pilot durch den Verlust der Handlungsfähigkeit die Kontrolle über das Luftfahrzeug verlor.

Als technisches Problem wäre auch eine Unterbrechung der Kraftstoffversorgung infolge Dampfblasenbildung denkbar. Die äußeren Rahmenbedingungen mit einer Lufttemperatur von knapp 30 Grad und ein Durchschütteln des heißen Kraftstoffs mit Vibrieren des Kraftstoffsystems durch das Rollen auf dem Grasplatz Oppenheim schließen auch diese Möglichkeit nicht aus.

Durch die erhöhte Zuladung und die Lage des Schwerpunktes außerhalb des zulässigen Bereichs wurde das Abkippen beim Fliegen einer Umkehrkurve begünstigt.

Schlussfolgerungen

Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass das Luftfahrzeug im Anfangssteigflug infolge eines überzogenen Flugzustandes abkippte und auf den Boden prallte.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Quelle und Bilder, wenn nicht anders angegeben: BFU.

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