Warmluft im Cockpit: Möglicher Hitzekollaps des Piloten

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Am Flugplatz Jena-Schöngleina (EDBJ) fand im Zeitraum vom 10. bis 21. Mai 2016 ein Segelflugwettbewerb statt, an dem 85 Segelflugzeuge beteiligt waren und sieben Schleppflugzeuge zum Einsatz kamen. Der Unfalltag war der fünfte Flugbetriebstag im Rahmen des Wettbewerbs.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 20. Mai 2016
  • Ort: Rodigast
  • Luftfahrzeug: Flugzeug
  • Hersteller / Muster: WSK Warszawa-Okęcie / PZL-101A Gawron
  • Personenschaden: Pilot tödlich verletzt
  • Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört
  • Drittschaden: Flurschaden

Ereignisse und weiterer Flugverlauf

Der Pilot hatte sich einen Tag vor dem Wettbewerb mit dem betroffenen Flugzeug vertraut gemacht. Danach hatte er am 10. und 18. Mai 2016 neun Schleppflüge absolviert. An drei dazwischen liegenden Wettbewerbstagen hatte er 37 Schleppflüge mit einem anderen Flugzeug durchgeführt.

Nach den vier Schleppflügen auf dem betroffenen Muster am 18. Mai 2016 habe er gegenüber einem Zeugen angegeben, dass er es vor Hitze im Cockpit nicht mehr aushalte und den Hebel zum Abstellen der Heizung nicht habe finden können. Das zweite Foto zeigt den Flugverlauf und die Lage der Unfallstelle (Quelle: Google Earth KartenserviceTM, Bearbeitung BFU).

Am Unfalltag startete der Pilot um 12:19 Uhr zu seinem achten Schleppflug. Der Pilot eines anderen Schleppflugzeuges, der gerade in 600 Meter AAL ein Segelflugzeug ausgeklinkt hatte und sich im Sinkflug befand, gab an, dass die vorausfliegende PZL-101A zum Zeitpunkt der Beobachtung in ca. 200 bis 300 Meter Höhe im Bereich des rechten Queranfluges zur Piste 20 geflogen sei.

Er habe das weiße Flugzeug über dem Wald gut sehen können. Dabei habe er festgestellt, dass die Querneigung nach rechts und die Längsneigung ohne gegenläufige Bewegungen stetig zunahmen und das Flugzeug nahezu senkrecht in den Laubwald gestürzt sei. Er habe sofort den Flugleiter informiert, der das Flugzeug ebenfalls beobachtet und den Flugverlauf bestätigt habe.

Der Aufprall auf den Boden erfolgte um 12:24 Uhr. Der Pilot wurde tödlich verletzt und das Flugzeug zerstört.

Angaben zu Personen

Der 68-jährige Luftfahrzeugführer besaß die Privatpilotenlizenz (LAPL(A)) der Europäischen Union, erteilt gemäß Teil-FCL, ausgestellt am 07. November 2013. Er besaß folgende nichtbefristete Berechtigungen:

SEP (land) PIC

TMG PIC

ST (A), ST (TMG)

BT (A), BT (TMG)

Außerdem war er Inhaber einer Segelfluglizenz (SPL) inklusive Lehrberechtigung (FI(S)).

Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis 13. Mai 2017 mit der Einschränkung VNL (Korrektur für eingeschränkte Sehschärfe in der Nähe) gültig. Laut persönlichem Flugbuch betrug seine Flugerfahrung auf Flugzeugen ca. 605 Stunden, auf Reisemotorseglern ca. 378 Stunden und auf Segelflugzeugen ca. 1.820 Stunden.

Laut Hauptflugbuch hatte er sich mit dem Muster PZL-101A am 09. Mai 2016 vertraut gemacht. Bei der flugpraktischen Einweisung hatte er fünf Starts und Landungen mit einer Flugzeit von 00:27 Stunden absolviert.

Im Rahmen des Wettbewerbs hatte er auf dem Muster fünf Schleppflüge am 10. Mai und vier Schleppflüge am 18. Mai 2016 mit einer Flugzeit von insgesamt 00:58 Stunden durchgeführt.

Am Unfalltag hatte er auf dem Muster zwischen 11:04 Uhr und 12:24 Uhr acht Schleppflüge mit einer Flugzeit von 01:05 Stunde absolviert.

Angaben zum Luftfahrzeug

Bei dem Flugzeug handelte es sich um einen abgestrebten Schulterdecker. Die Rumpfstruktur bestand aus einem stoffbespannten Stahlrohrgerüst. Der vordere Rumpfbereich war metallbeplankt. Die zweiholmigen Tragflächen und das Leitwerk waren in Metallbauweise mit Stoffbespannung ausgeführt.

Die Tragflächen verfügten über Vorflügel und Spaltklappen. Das Spornradfahrwerk war nicht einziehbar. Das Flugzeug war mit einem Neunzylinder-Sternmotor und 2-Blatt-Verstellpropeller ausgerüstet. Es war in Polen zum Verkehr zugelassen und wurde seit August 2014 in Deutschland von einer Privatperson betrieben. Das Titelbild zeigt die PZL-101A Gawron (Foto: Gregor Najberg, Plane spotters . net)

  • Hersteller: WSK Warszawa-Okęcie
  • Muster: PZL-101A Gawron
  • Werknummer: 85165
  • Baujahr: 1965
  • Triebwerksmuster: AI-14RA
  • Propellermuster: PZL Warszawa Series US-122000
  • Leermasse: 1.004 kg
  • höchstzulässige Startmasse: 1.660 kg
  • Gesamtflugzeit: ca. 4.700 Stunden

Laut den technischen Aufzeichnungen wurde zuletzt am 01. September 2015 eine 50- Stunden-Kontrolle in einem deutschen luftfahrtechnischen Betrieb durchgeführt. Am 22. April 2016 wurde im Rahmen einer technischen Prüfung die Gültigkeit des in Polen ausgestellten Special Category Flight Permit um zwölf Monate verlängert.

Meteorologische Informationen

Laut Zeugen am Startflugplatz habe der Wind zum Zeitpunkt des Unfalls aus 200° bis 240° mit 2 bis 4 kt geweht. Die Sicht habe mehr als 10 km betragen. Die Bewölkung wurde mit 4/8 in 6.000 ft AMSL angegeben. Es habe keinen Niederschlag gegeben und die Temperatur habe 22 °C betragen.

Funkverkehr

Es bestand Funkkontakt zur Flugleitung des Flugplatzes. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.

Angaben zum Flugplatz

Der Verkehrslandeplatz Jena-Schöngleina liegt 4,5 nautische Meilen (NM) östlich der Stadt Jena. Laut Flugplatzkarte beträgt die Höhe (ELEV) 1.228 ft AMSL. Der Landeplatz verfügt über eine Asphaltpiste mit der Ausrichtung 018°/198° (02/20) in den Abmessungen 1.170 Meter mal 23 Meter. Eine zweite Piste mit Grasoberfläche hat die Ausrichtung 077°/257° (08/26) in den Abmessungen 620 Meter mal 30 Meter.

Flugdatenaufzeichnung

Das Flugzeug war nicht mit einem Flight Data Recorder (FDR) bzw. Cockpit Voice Recorder (CVR) ausgestattet. Diese Aufzeichnungsgeräte waren entsprechend der gültigen Vorschriften nicht gefordert.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die Unfallstelle befand sich in hügeligem Gelände in einem Waldstück mit dichtem ca. 20 Meter hohem Laubbaumbestand an einer Böschung eines ca. fünf Meter tiefen Grabens. Die Höhe des Geländes betrug ca. 290 Meter AMSL.

Die Entfernung zur Schwelle der Piste 20 betrug in Richtung 170° ca. 1.600 Meter. Zum Ort Rodigast betrug die Entfernung in östliche Richtung ca. 700 Meter. An der Unfallstelle konnten alle Baugruppen des Flugzeuges identifiziert werden. Nach der Kollision mit Bäumen und Buschwerk war das Flugzeug nahezu senkrecht in den ca. 20° geneigten Böschungshang geprallt.

Das Cockpit war gestaucht und das Brandschott inklusive Motor-Propeller-Einheit abgerissen. Propeller und Motor waren oberflächig in den Waldboden eingedrungen. Das Rumpfrohrgerüst war hinter dem Cockpit gestaucht und das nachfolgende Rumpffachwerk abgeknickt, ebenso das Seiten- und Höhenleitwerk.

Die rechte Tragfläche war inklusive Stützstreben am Rumpf abgerissen, deformiert und lag auf dem abgeknickten Rumpfgerüst. Die linke Tragfläche war deformiert, aber noch mit dem Rumpf verbunden, die Stützstreben waren abgerissen. Die beiden Tanks in den Tragflächen waren aufgerissen und eine unbestimmte Menge Kraftstoff war ausgetreten. Das dritte Bild zeigt die Unfallstelle.

Am 02. Juni 2016 wurde das Wrack des Flugzeuges seitens der BFU und eines Sachverständigen der zuständigen Staatsanwaltschaft einer technischen Untersuchung unterzogen. Bei der Untersuchung wurden keine technischen Mängel festgestellt.

Medizinische und pathologische Angaben

Bei der im Auftrag der zuständigen Staatsanwaltschaft durchgeführten Obduktion der Leiche des Piloten wurde als Todesursache ein schweres Polytrauma festgestellt. Bei der Untersuchung konnten keine schweren vorbestehenden Organerkrankungen festgestellt werden und am Herzmuskel wurden keine Anzeichen für einen Herzinfarkt gefunden. Im Rahmen der chemisch-toxikologischen Untersuchungen wurden keine Drogen- oder Medikamentenwirkstoffe nachgewiesen. Auch eine Alkoholbestimmung verlief negativ.

Der im Herzblut bestimmte Kohlenmonoxid-Hämoglobin-Anteil (CO-Hb) lag mit 2,1 Prozent noch unterhalb des physiologischen Bereiches bei Rauchern (fünf bis zehn Prozent), so dass eine toxikologisch relevante Rauchgasinhalation – über den konsumierten Zigarettenrauch hinaus (der Pilot war Raucher) – in zeitlicher Nähe zum Todeseintritt ausgeschlossen werden konnte. Es ergaben sich auch keine Anhaltspunkte für eine Unterzuckerung oder eine diabetische Stoffwechselentgleisung.

In dem Gutachten wurde außerdem dargelegt, dass das Auftreten eines so genannten Hitzekollapses mit einer Beeinträchtigung der Kreislaufregulation infolge hoher Temperatur im Cockpit prinzipiell denkbar wäre, morphologisch aber nicht nachweisbar war.

Brand

Es gab keinen Hinweis auf ein Feuer im Fluge oder nach dem Aufprall.

Zusätzliche Informationen

Heizungssystem PZL-101A Gawron

Die Warmluft wird im Motorraum leeseitig des Sterntriebwerkes entnommen und über ein Rohr durch das Brandschott in das Cockpit geleitet. Das vierte Bild zeigt den Motorraum mit Rohr für Warmluftzuführung (Foto: Karl Helm). Im Cockpit ist im Bereich der linken Seitenruderpedale ein Rohrelement mit arretierbarer Klappe und Austrittsöffnungen für die Warmluft eingebaut. Die Klappe kann im Flug nicht betätigt werden. Das fünfte Bild zeigt den Warmluftaustritt im Cockpitbereich (Foto: Karl Helm). Im Rahmen der technischen Untersuchung des Flugzeugwracks konnten aufgrund des hohen Zerstörungsgrades die Bauteile des Warmluftsystems nicht identifiziert werden.

Der Untersuchungsbericht wurde an dieser Stelle summarisch abgeschlossen, d.h. ausschließlich mit Darstellung der Fakten.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Quelle und Bilder, sofern nicht anders angegeben: BFU.

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