Strömungsabriss im Kurvenflug bei EDNJ

Geschätzte Lesedauer: 9 Minuten

Mehrere Zeugen berichteten ungewöhnliche Motorgeräusche wahrgenommen zu haben. Nach Angaben der Flugleiterin, die sich mit einem weiteren Zeugen vor den Hallen im hinteren Bereich der Startbahn 08 befand, betrug die Flughöhe des Luftfahrzeuges an dieser Position ca. zehn Meter.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 23. Mai 2014
  • Ort: Egweil
  • Luftfahrzeug: Flugzeug
  • Hersteller / Muster: Apparatebau Nabern GmbH / Klemm 107 /
  • Kl 107B
  • Personenschaden: drei Personen tödlich verletzt
  • Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört
  • Drittschaden: Flurschaden

Ereignisse und Flugverlauf

Am 23.05.2014 um 18:05 Uhr kam es ca. 550 Meter südöstlich des Flugplatzes Neuburg Egweil (EDNJ) zum Absturz einer Klemm 107 (Kl 107B). Das Flugzeug startete am Flugplatz Egweil mit einem Piloten und zwei Passagieren zu einem privaten Rundflug in östliche Richtung.

Beide Personen beschrieben ebenfalls den unrunden Motorlauf. Diese beiden Zeugen gaben an, dass das Flugzeug eine Rechtskurve eingeleitet habe. Der weitere Flugverlauf konnte nach Angabe dieser beiden Zeugen nicht mehr beobachtet werden. Die Flugleiterin gab an, noch versucht zu haben, den Piloten des Flugzeuges über Funk zu warnen und aufzufordern zurückzukehren, aber da sei es bereits zu spät gewesen. Ein Zeuge berichtete, dass der Anstellwinkel bei augenscheinlich zurückgehender Geschwindigkeit immer mehr zugenommen habe. Das Flugzeug stürzte nahezu senkrecht ab. Alle drei Insassen wurden beim Aufprall tödlich verletzt.

Angaben zu Personen

Der links sitzende 23-jährige Flugzeugführer besaß eine Pilotenlizenz der Europäischen Union PPL(A), erteilt gemäß Teil FCL, ausgestellt am 06.08.2013. Die Lizenz beinhaltete den Sprechfunk in deutscher und englischer Sprache für Flüge nach Sichtflugregeln und folgende Muster- bzw. Klassenberechtigungen: – SEP (land) PIC, gültig bis 06.08.2015 Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis war für die Klasse 2 bis zum 12.10.2016 gültig.

Seine Gesamtflugerfahrung betrug ca. 110 Stunden. Innerhalb der letzten 90 Tage hatte er 19 Stunden mit 48 Starts und Landungen absolviert. Auf die Kl 107B wurde er im April 2014 eingewiesen. Seine Flugerfahrung auf dem Muster betrug ca. acht Stunden.

Angaben zum Luftfahrzeug

Bei der Kl 107B handelt es sich um einen dreisitzigen, freitragenden Tiefdecker in Holzbauweise mit starrem Hauptfahrwerk und Spornrad. Das Flugzeug, Baujahr 1959, verfügte laut Flughandbuch über keine Überziehwarnung. Das Flugzeug war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und wurde in einem Luftsportverein betrieben.

Die Kl 107B besaß zwei Kraftstoffbehälter mit einem Fassungsvermögen von jeweils 65 Liter. Dabei war nur für den Kraftstoffbehälter Nr. 1 eine Kraftstoffanzeige vorhanden. Die an der Unfallstelle aufgefundene Checkliste enthielt den Hinweis, beim Start des Flugzeuges den Tankwahlschalter auf den Kraftstoffbehälter Nr. 2 zu stellen. Ein Foto (siehe Abbildung), welches kurz vor dem Unfall aufgenommen wurde, zeigt, dass sich der Tankwahlschalter auf Stellung Kraftstoffbehälter Nr. 1 befand.

Befragungen von Vereinsmitgliedern und Vertretern des Herstellers ergaben, dass gemäß der technischen Auslegung beide Tankwahlschalterstellungen möglich seien. Nach einer Zeugenaussage wurde im Verein geschult, dass der Tankwahlschalter in der Stellung Nr. 1 oder Nr. 2 sein kann.

Auf dem wenige Sekunden vor dem Unfall entstandenen Foto (siehe Abbildung) ist ein Spalt am Zughebel der Vergaservorwärmung zu sehen. Laut Zeugenaussage eines Fluglehrers stand die am schwarzen Knopf befestigte silberfarbene Verlängerung ca. 0,5 bis 1 cm heraus, wenn der Schalter komplett hineingedrückt war (Vorwärmung aus). Bei voll gezogener Vergaservorwärmung habe sich ein Spalt von ca. 5 bis 8 cm ergeben.

Im Flughandbuch der Kl 107B waren folgende Werte vermerkt: Die Startleistung beträgt 150 PS bei einer Drehzahl von 2.700 U/min. Die Geschwindigkeit für bestes Steigen wird mit 120 km/h bei einer Drehzahl von 2.350 U/min angegeben. Die Steigleistung in Bodennähe beträgt 3,2 m/sec. Nach dem Erreichen einer Öltemperatur von 25 Grad Celsius kann der Motor abgebremst werden (Magnetcheck). Die Mindesttemperatur des Schmierstoffes für den Dauerbetrieb beträgt 60 Grad Celsius. Der Kraftstoffverbrauch wird bei Reiseleistung mit 32,5 l/h angegeben. Die höchstzulässige Abflugmasse beträgt 940 kg. Die vordere Grenze des zulässigen Schwerpunktbereiches befindet sich bei 208 cm und die hintere zulässige Grenze bei 223 cm. Verringert sich die Kraftstoffmenge, dann verlagert sich der Schwerpunkt hin in Richtung der vorderen Grenze des zulässigen Schwerpunktbereiches von 208 cm.

Meteorologische Informationen

Laut der Routinewettermeldung (METAR) des 13 nautische Meilen (NM) entfernten Militärflugplatzes mit ziviler Mitbenutzung Ingolstadt/Manching (ETSI) von 16:20 UTC betrug die Sicht mehr als zehn km. Es war schwach windig und es gab eine Bewölkung mit einem Bedeckungsgrad von ein bis zwei Achtel in einer Höhe von 2.500 ft über Grund.

Die Temperatur betrug 16 Grad Celsius, der Taupunkt 11 Grad Celsius. Der Luftdruck (QNH) betrug 1.012 hPa.

Funkverkehr

Der Funkverkehr am Flugplatz Egweil wurde nicht aufgezeichnet.

Angaben zum Flugplatz

Der Sonderlandeplatz Neuburg Egweil (EDNJ) befindet sich nördlich der Kontrollzone (CTR) Neuburg auf einer Höhe von 1.345 ft AMSL. Der Flugplatz verfügt über eine Grasbahn mit 640 m Länge und 30 m Breite in der Ausrichtung 079°/259° (08/26). Für die Startrichtung 08 beträgt die verfügbare Startlaufstrecke (TORA) 640 m. Die Platzrundenhöhe liegt bei 2.200 ft AMSL.

Flugdatenaufzeichnung

Nach Angaben der zuständigen Flugsicherungsorganisation konnte das Luftfahrzeug aufgrund der geringen Flughöhe nicht vom Radar erfasst werden. Ein GPS-Gerät war nicht vorhanden.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die Unfallstelle befand sich ca. 550 m südöstlich der Schwelle der Landebahn 26, südlich der Ortschaft Egweil in einem Weizenfeld. Der Boden war hart und trocken. Die Längsachse des Flugzeuges zeigte in östliche Richtung. Der vordere Teil des Luftfahrzeuges wies einen hohen Zerstörungsgrad auf. Der Motorträger war gestaucht und die Unterseite des Motors zeigte nach oben. Auf dem Motor lag das gesamte Cockpit. Die Flugzeugzelle war aufgeplatzt und deformiert. Der Flugzeugrumpf war hinter der Passagiersitzreihe abgetrennt und lag in Normallage im Feld. Die linke Tragfläche lag, um ca. 80° nach hinten verdreht, zersplittert unter dem hinteren Rumpfsegment.

Die rechte Tragfläche lag, in ihrer Ausrichtung um ca. 90° nach vorne verdreht, neben dem vorderen Rumpfsegment und wies starke Beschädigungen auf. Beide Kraftstoffbehälter waren aufgerissen. Es war eine Restkraftstoffmenge von ca. fünf bis sechs Litern vorhanden. Laut Flughandbuch sind beide Kraftstoffbehälter bis auf eine Restmenge von einem Liter ausfliegbar. Am Unfallort wurde eine Startliste des Luftsportvereins gefunden, in der vermerkt war, dass die Klemm am 18.05.2014 mit 110 Liter Kraftstoff betankt wurde. Daneben war ein Flug mit einer Dauer von 01:40 Stunden eingetragen. Nach den Eintragungen im Bordbuch wurden bis zum Unfallflug keine weiteren Flüge mit der KL 107B durchgeführt.

Die Steuerung und die Stellung der Bedienelemente waren aufgrund des hohen Zerstörungsgrades nur eingeschränkt nachvollziehbar. Laut dem Bericht der Polizei wurde im Flugzeugwrack ein Fotoapparat gefunden, der dem Eigentum des vorne rechts sitzenden Passagiers zugeordnet werden konnte.

“Die Kamera war zerstört, aber es war noch möglich, die Bilder auszulesen. Die Bilder wurden vom rechten vorderen Platz gefertigt und trugen den Zeitstempel 23.05.2014, 18:04 Uhr. Das erste Bild war verwackelt, dass zweite Bild war scharf, weshalb angenommen wird, dass die Maschine bereits abgehoben hatte” (Quelle: Polizeibericht). Beide Fotos zeigten eine Aufnahme des Cockpits. Anhand dieser Fotos war es möglich, folgende Instrumentenanzeigen und Schalterstellungen abzulesen: Das vom rechten Sitzplatz aus gefertigte Foto zeigt den Moment kurz nach dem Abheben.

Der Tankwahlschalter befindet sich auf Tank Nr. 1 und die dazugehörige Kraftstoffanzeige zeigt einen fast vollen Tank. Am Fahrtmesser ist eine Geschwindigkeit von ca. 120 km/h abzulesen. Das Variometer zeigt ein Steigen von ca. 1 m/sec an. Der Höhenmesser zeigt eine Höhe von ca. 1.400 ft AMSL (bei einer Einstellung von 30,0 inches of mercury) und am Drehzahlmesser lassen sich ca. 2.480 U/min ablesen. Die Öltemperatur beträgt ca. 30 Grad Celsius. Die kombinierte Kraftstoffdruck- und Öldruckanzeige zeigt beide Werte im grün markierten Bereich. Vom hinteren Passagiersitz aus wurden Bilder mit einer Handykamera fotografiert, die einige Außenaufnahmen des Flugweges zeigen.

Die Triebwerkuntersuchung in einem luftfahrttechnischen Betrieb ergab: Die Kurbelwelle ließ sich drehen. Eine Zündkerze war am Keramikkörper gebrochen. Alle anderen Zündkerzen waren äußerlich in Ordnung. Eine Zündkerze des Zylinders Nr. 4 war verölt. Bei dieser Kerze gab es keinen Zündfunken unter 2.400 U/min. Eine Kerze wies eine leichte Brücke auf.

Ein Motorgutachten ergab: “An der Zündkerze des dritten Zylinders oben hatte sich zwischen einer Masse- und der Mittelelektrode eine Brücke gebildet, die zu einer Beeinträchtigung der Funkenbildung an dieser Zündkerze führt. Dies kann einen unrunden Motorlauf bzw. eine reduzierte Motorleistung zur Folge haben. Grund dieser Fadenbildung zwischen den Zündelektroden kann ein zu langer Betrieb im Standgas, bzw. ein fehlendes oder unzureichendes Freibrennen vor dem Abverlangen der Startleistung sein.” Sieben von acht Zündkerzen waren im Prüfstandmotor funktionsfähig.

Das Gehäuse des Vergasers war beschädigt und das Innere wies keine Verunreinigungen auf. Der Metallschwimmer war unbeschädigt und die Schwimmerwelle gängig. Das Schwimmernadelventil war funktionsfähig.

Die Kraftstoffpumpe war beschädigt, die Membran war in Ordnung. Der Kniehebel der Handpumpe war gängig. Es gab keine Hinweise auf eine Fehlfunktion. Der Kraftstofffilter war zweigeteilt, eine Hälfte war gebrochen und die Lamellen waren sauber. Es gab keine Hinweise auf Verschmutzung oder Verstopfung. Die Kraftstoffleitungen waren frei und durchgängig. Der Luftfilterkasten mit Filter war verformt.

Die Vergaservorwärmung befand sich in Stellung “kalt”. Der Zündmagnet rechts war funktionsfähig. Der Zündmagnet links war an der Befestigung gebrochen, die Welle verbogen. Links konnten nur Spule und Kondensator gemessen werden. Spule und Kondensator waren in Ordnung.

An allen Zylindern, Kolben und Kolbenringen waren keine Beschädigungen feststellbar. Die Differenzdruckprüfung aller vier Zylinder war sowohl einlass- als auch auslassseitig ohne Beanstandung. Die Ventile waren gängig.

Die Berechnung der Gewichts- und Schwerpunktlage erfolgte mit angenommenen vollen Tanks. Es wurde eine Abflugmasse von 919 kg errechnet. Der Schwerpunkt lag bei 222,6 cm.

Medizinische und pathologische Angaben

Laut dem Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung verstarb der Pilot infolge eines Polytraumas. Die toxikologische Untersuchung ergab keine Hinweise auf Alkohol, Medikamente und Suchtmittel.

Überlebensaspekte

Der Unfall war aufgrund der hohen Aufprallenergie nicht überlebbar.

Beurteilung

Der Pilot war im Besitz der erforderlichen Erlaubnisse und Berechtigungen. Seine Flugerfahrung war mit ca. 110 Stunden noch gering. Sein Übungsstand war im Verhältnis zu der erst am 15.04.2012 begonnenen praktischen Flugausbildung als relativ hoch anzusehen. Auf dem Muster Kl 107B hatte er mit ca. acht Flugstunden nur eine geringe Erfahrung. Anders als moderne Flugzeuge besaß die Kl 107B keine Überziehwarnung. Ein Strömungsabriss wird lediglich durch ein leichtes Leitwerkschütteln angekündigt.

Die Wetterbedingungen hatten mit Sichten von mehr als zehn Kilometer und einer Temperatur von 16 Grad Celsius bei geringem Wind keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen. Das Flugzeug war nicht überladen und der Schwerpunkt befand sich an der hinteren Grenze des zulässigen Schwerpunktbereiches. Bei Verringerung der Kraftstoffmenge verlagert sich der Schwerpunkt aufgrund der Anordnung der Kraftstoffbehälter in Richtung der vorderen Grenze des zulässigen Schwerpunktbereiches.

Am Motor und an der Druckölversorgung wurden nach dem vorliegenden Gutachten keine Hinweise auf mechanische Defekte festgestellt. An der Kraftstoffversorgung konnten bis auf die unfallbedingten Beschädigungen keine Hinweise auf Defekte gefunden werden.

Die Fadenbildung an der Zündkerze des dritten Zylinders und eine dadurch möglicherweise verursachte Leistungsreduzierung des Triebwerkes hätte durch ein längeres Warmlaufen und ein Setzen erhöhter Motorleistung verhindert bzw. beseitigt werden können. Die angezeigte Öltemperatur war mit 30 Grad Celsius relativ niedrig, zumal bereits die Mindesttemperatur für das Abbremsen des Motors (Magnetcheck) laut Handbuch 25 Grad Celsius betrug. Kraftstoff- und Öldruck befanden sich im grünen Bereich (Normalbereich). Das Foto zeigt, dass eine Geschwindigkeit von 120 km/h und eine Drehzahl von ca. 2.480 U/min erreicht wurden. Damit wäre ein sicheres Steigen möglich gewesen.

Geht man von einer angenommenen deutlichen Leistungsminderung oder gar von einem Motorausfall aus, so wäre eine Notlandung im Bereich der Unfallstelle und der anliegenden Felder möglich gewesen. Für beide Fälle gibt es auf dem Foto keine Anhaltspunkte. Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades war eine ausreichende Beurteilung der Steuerung im Nachhinein nicht mehr möglich.

Die Tatsache, dass vom vorderen und vom hinteren Passagiersitz aus mehrere Fotos während des Fluges gemacht wurden, lässt darauf schließen, dass sich die Fluggäste zunächst keines Problems bewusst waren. Aufgrund der Fotos vom hinteren Sitzplatz wird eine erreichte Flughöhe von ca. 30 bis 50 Meter angenommen.

Ob der Funkruf der Flugleiterin den Piloten noch erreicht hatte, konnte nicht festgestellt werden. Die kompakte Lage der Trümmerteile und fehlende Rutschspuren an der Unfallstelle weisen auf einen nahezu senkrechten Aufprall des Flugzeuges hin.

Diese Aufprallspuren sind typisch für einen Strömungsabriss. Eine Überziehwarnung, die dies möglicherweise hätte verhindern können, war in diesem älteren Flugzeugmuster nicht vorhanden.

Schlussfolgerungen

Der Flugunfall ist darauf zurückzuführen, dass es zu einem Strömungsabriss im Kurvenflug durch ein Unterschreiten der Mindestgeschwindigkeit für den jeweiligen Flugzustand kam.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, in Ortszeit. Quelle und Bilder, wenn nicht anders angegeben: BFU.

- Anzeige -