Überschlag eines R22: Bodenkontakt bei hoher Beladung

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Insgesamt führte der eingesetzte Pilot vierzehn ca. 20- bzw. 30-minutige Schnupperflüge durch. Laut Betriebsstundenzähler im Hubschrauber waren hierzu 7,4 Betriebsstunden nötig.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 20. Juli 2014
  • Ort: Sonderlandeplatz Melle
  • Luftfahrzeug: Hubschrauber
  • Hersteller / Muster: Robinson Helicopter Company / R22 Beta
  • Personenschaden: Passagier leicht verletzt
  • Sachschaden: Luftfahrzeug schwer beschädigt
  • Drittschaden: keiner

Ereignisse und Flugverlauf

Am Wochenende 19./20. Juli 2014 wurden durch ein Luftfahrtunternehmen mehrere sogenannte Schnupperflüge gegen Entgelt mit einem Hubschrauber Robinson R22 Beta durchgeführt. Am 19. Juli erfolgten laut Aufzeichnungen im Bordbuch der erste Start um 10:18 Uhr am Verkehrslandeplatz Porta Westfalica (EDVY) und die letzte Landung um 20:17 Uhr am Verkehrslandeplatz Hildesheim (EDVM).

Am 20. Juli erfolgte der erste Start laut Flugbuchaufzeichnungen des Flugleiters in Hildesheim um 09:42 Uhr. Nach sechs Schnupperflügen flog der Pilot mit einem Passagier zum Sonderlandeplatz Melle-Grönegau (EDXG) und führte dort weitere acht Schnupperflüge durch. Nach dem letztmaligen Auftanken des Hubschraubers plante der Pilot nach seinen und den Angaben des Passagiers am Abend im Rahmen eines Schnupperfluges den Hubschrauber von Melle-Grönegau nach Essen-Mülheim (EDLE) zu überführen. Bis zum Start zum Überführungsflug um ca. 19:20 Uhr hatte er laut Betriebsstundenzähler 8,0 Betriebsstunden absolviert.

Der Pilot gab an, nach der letzten Betankung von der Tankstelle am Sonderlandeplatz Melle entlang dem östlichen Rollweg in Richtung Pistenanfang der Piste 27 geschwebt zu sein. Beim Einkurven auf die Piste habe der Hubschrauber an Höhe und Geschwindigkeit gewonnen, dann sei er durchgesackt und zur linken Seite gerollt. Trotz sofort eingesteuerter Gegenmaßnahmen habe das linke Kufenlandegestell den Boden berührt und der Hubschrauber habe sich überschlagen.

Der Passagier beschrieb, dass der Hubschrauber mit einer Rechtskurve von der Tankstelle losgeflogen sei und bei der folgenden Linkskurve, beim Eindrehen auf die Piste, die linke Kufe in die Grasnarbe eingestochen habe und der Hubschrauber anschließend umgeschlagen sei.

Der Flugleiter gab an, er habe beobachtet, wie der Hubschrauber beim Einkurven auf die Piste plötzlich Höhe verlor. Bei dem Unfall wurde der Hubschrauber schwer beschädigt. Beide Personen konnten den Hubschrauber selbstständig verlassen. Der Passagier wurde bei dem Unfall leicht verletzt. Abb. 2 zeigt die Schwebeflugstrecke laut Zeugen und Angaben des Passagiers (Quelle: Google earthTM / BFU).

Angaben zu Personen

Der 38-jährige rechts sitzende Pilot war deutscher Staatsbürger. Er war im Besitz einer slowenischen Berufspilotenlizenz für Hubschrauber (CPL(H)), ausgestellt am 01.08.2013. In die Lizenz waren die Berechtigungen als verantwortlicher Pilot auf den Mustern R22, R44 und AS 350 eingetragen. Zusätzlich besaß er die Berechtigungen als Lehrer für die Flugausbildung FI(H). Er verfügte über ein medizinisches Flugtauglichkeitszeugnis Klasse 1 ohne Auflagen, gültig bis 30.07.2015. Seine Gesamtflugerfahrung betrug laut persönlichem Flugbuch ca. 1.421 Stunden, davon ca. 1.322 Stunden auf dem Muster Robinson R22.

Er war als sogenannter Freelance-Pilot für mehrere Luftfahrtunternehmen tätig. Für das betroffene Luftfahrtunternehmen flog er letztmalig am Wochenende 05./06.07.2014. An diesem Wochenende hatte er neben vier Überführungsflügen insgesamt 24 Schnupperflüge durchgeführt.

Nach eigenen Angaben wog er zum Unfallzeitpunkt 67 kg. Laut der Wägung bei der letztmaligen Flugtauglichkeitsuntersuchung am 03.07.2014, 17 Tage vor dem Unfall, wog er 78 kg.

Angaben zum Luftfahrzeug

Der Robinson R22 Beta ist ein zweisitziger Hubschrauber, der vielfach für die Schulung von Piloten eingesetzt wird. Er verfügt über ein Kufenlandegestell und einen Zweiblatt-Hauptrotor. Entsprechend dem EASA Type Certificate IM.R.120 beträgt die maximal zulässige Abflugmasse 1.370 lbs (621 kg). Er ist mit einem Kolbentriebwerk Lycoming O-320-B2C ausgerüstet.

Der verunfallte Hubschrauber R22 Beta, Baujahr 1990, hatte die Werknummer 1368. Die letztmalige Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit wurde am 31.01.2014 ausgestellt. Seit der letzten 2.200-Stunden-Kontrolle bzw. Grundüberholung mit einer Freigabebescheinigung vom 27.12.2013 wurde der Hubschrauber laut Bordbucheintragungen ca. 57 Stunden betrieben. Die letzte 50-Stunden-Kontrolle wurde am 13.07.2014 bei einer Gesamtbetriebszeit des Hubschraubers von 6.407,56 Stunden oder am 17.07.2014 bei einer Hobbs-Meter-Zeit von 2 246,5 Stunden in Essen-Mülheim durchgeführt. Die Gesamtbetriebszeit zum Unfallzeitpunkt betrug ca. 6.427 Stunden.

Das Betriebsleergewicht betrug laut dem vorgefundenen undatierten Wägebericht des Hubschraubers 892,1 lbs (ca. 405 kg). Laut einem Handeintrag im Pilot‘s Operation Handbook nach dem Notfunksendereinbau am 04.06.2014 betrug das Betriebsleergewicht 898,3 lbs (ca. 407 kg). Der Hubschrauber war zum Startzeitpunkt nach Angaben des Piloten mit ca. 55 Liter Kraftstoff betankt. Neben dem Passagier (Körpergewicht nach eigenen Angaben ca. 95 kg) befanden sich u.a. noch die Räder zum Rangieren des Hubschraubers am Boden, Dokumente, Öldosen, Glasreiniger und eine Trinkflasche an Bord mit einem Gesamtgewicht von ca. 8 kg. Die Tabelle in Abb. 3 zeigt eine Gewichts- und Schwerpunktberechnung.

Mit maximaler Abflugmasse und ca. 28 °C Außentemperatur beträgt laut Flughandbuch und Berechnung des Herstellers die maximale Schwebeflughöhe im Bodeneffekt ca. 5.700 ft und außerhalb des Bodeneffekts ca. 3.000 ft bei Anwendung der 5-Minuten-Startleistung (24,8 MAP.In.Hg.).

Laut Bordbuchaufzeichnungen wurde der Hubschrauber von einem anderen Piloten am 12.07.2014 von 08:25 UTC bis 17:52 UTC betrieben. Dieser Pilot führte neben einer Überführung von Bad Neuenahr-Ahrweiler (EDRA) nach Mönchengladbach (EDLN) 15 Schnupperflüge durch. Am 13.07.2014 flog derselbe Pilot von 07:15 UTC bis 17:35 UTC und führte dabei 17 Schnupperflüge und einen Überführungsflug von Mönchengladbach nach Essen-Mülheim durch.

Meteorologische Informationen

Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) herrschten im Bereich Melle (automatische Wetterstationen Belm und Bad Salzuflen) um 19:00 Uhr Bodensichten zwischen 20 und 40 km. Es lag keine bzw. nur sehr hohe Bewölkung vor. Der Wind kam aus 140 bzw. 170 Grad mit bis zu vier Knoten und der Luftdruck (QFF) lag bei 996 bzw. 993 hPa. Die Temperatur betrug 28 °C, der Taupunkt lag bei ca. 20 °C.

Die westlich bzw. östlich ca. 25 nautische Meilen (NM) entfernten Flugplätze Bückeburg (ETHB) und Münster-Osnabrück (EDDG) meldeten um 19:20 Uhr:

METAR ETHB 201720Z 18003KT 9999 BKN140 29/18 Q1008 BLACKBLU

METAR EDDG 201720Z 25014KT 9999 SHRA VCTS FEW015 FEW040CB SCT060 BKN200 24/16 Q1009 RETS TEMPO TSRA

Die Luftfeuchtigkeit betrug ca. 60 Prozent. Es war schwülwarm. Zum Abend hin entwickelten sich unwetterartige Gewitter im mittleren Westen von Deutschland. Die Blitzaufzeichnungen um 19:00 Uhr zeigten großflächig eine hohe Anzahl von Entladungen im Bereich Stadtlohn, Münster-Osnabrück und Münster Telgte.

Angaben zum Flugplatz

Der Sonderlandeplatz Melle-Grönegau (EDXG) verfügt über eine 768 Meter mal 15 Meter lange Asphaltpiste mit der Ausrichtung 09/27. Nördlich der Hauptpiste sind die Landeflächen 09 bzw. 27 für Segelflugzeuge sowie die Windenseilauszugsfläche. Zwei Rollwege führen zu den Abstellflächen für Luftfahrzeuge, den Hallen, dem Turm und zu der Tankstelle südlich der Asphaltpiste. Die Flugplatzhöhe beträgt 236 ft AMSL. Die Dichtehöhe in Melle-Grönegau zum Unfallzeitpunkt betrug ca. 2.000 ft.

Flugdatenaufzeichnung

Der Hubschrauber war nicht mit einem Flight Data Recorder (FDR) oder Cockpit Voice Recorder (CVR) ausgestattet. Diese Aufzeichnungsgeräte waren nicht vorgeschrieben.

Der Hubschrauber verfügte über zwei Kameras in der Kabine und Intercom-Gesprächsaufzeichnung mit einem digitalen Aufzeichnungsgerät. Laut Angaben des Piloten war bei dem Unfallflug das Aufzeichnungsgerät nicht mehr eingebaut. Nach Angaben des Passagiers wurde ihm vor dem Flug mitgeteilt, dass er nicht filmen oder Fotos machen müsse, da er sowieso nach dem Flug eine Aufzeichnung erwerben könne. Als der Beauftragte der BFU an der Unfallstelle eintraf, befand sich kein Aufzeichnungsgerät im Hubschrauber.

Nach Aufforderung wurden der BFU vom durchführenden Luftfahrtunternehmen Filmaufnahmen aus dem Cockpit von vier vorausgegangenen Flügen am Unfalltag zur Verfügung gestellt. Der Unfallflug war nicht enthalten; er sei nicht aufgezeichnet worden.

Aus den zur Verfügung gestellten Aufnahmen gingen unter anderem die nötigen Schwebeflugleistungen, die verwendeten Startleistungen, die durchgeführten Flugmanöver und das Verhalten des Piloten sowie die Gespräche an Bord bei diesen Flügen hervor. Die nötige Schwebeflugleistung betrug jeweils ca. 25 MAP.In.Hg. und die verwendete Leistung beim Fahrtaufholen im Start betrug zwischen 25 und 27 MAP.In.Hg. Während der nahezu identisch ablaufenden Schnupperflüge wurden stark schiebende Flugzustände bei Reisefluggeschwindigkeit sowie Wirbelringstadium-Demonstrationen durchgeführt. Der Pilot ließ zumeist direkt nach dem Start und vielfach über längere Zeit während der Flüge den kollektiven Verstellhebel los und legte seine linke Hand auf der Steuerwippe ab.

Laut den Filmaufnahmen wurde der Hubschrauber bei der vorletzten Betankung vollgetankt. Danach wurden laut den Aufzeichnungen des Flugleiters drei Flüge mit einer Gesamtflugdauer von 71 Minuten durchgeführt. Direkt vor dem Unfall wurden 27,41 Liter Kraftstoff nachgetankt.

Der BFU lagen zusätzlich Filmaufnahmen von den Starts und Landungen des Hubschraubers der letzten zwei Schnupperflüge vor dem Unfallflug vor. Diese wurden vom Vorfeld aus am Flugplatz gefilmt. Bei der letzten Landung an der Tankstelle befand sich laut diesen Aufnahmen das Aufzeichnungsgerät für die Hubschrauberkameras angeschlossen im Fußraum des Piloten. Die Kraftstoffanzeige zeigte auf den Aufnahmen vor der letztmaligen Betankung mehr als halbvoll an.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die Unfallstelle befand sich nördlich der Piste 27 am Sonderlandeplatz Melle-Grönegau westlich des östlichen Rollweges. Der Hubschrauber lag nach links geneigt auf dem nach vorne abgeknickten Heckausleger. Das hintere Ende des Heckauslegers mitsamt Leitwerk und Heckrotor lag ca. fünf Meter vor dem Hubschrauber. Die Rotorblätter und die Kabinenverglasung waren zerstört. Die Steuerstangen von der Taumelscheibe zu den Rotorblättern waren abgebrochen. Die rechte Kufenspitze sowie das linke Kufenende waren abgebrochen. An der Unfallstelle lief Kraftstoff aus. Das Service Bulletin 109 (Bladder Fuel Tank Retrofit) war nicht durchgeführt worden. Das Titelbild zeigt eine Übersicht auf die Beschädigungen des Hubschraubers.

Nach der Bergung des Hubschraubers wurden die Steuerung, das Triebwerk und der Antriebsstrang untersucht. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine Fehlfunktion oder Beeinträchtigung. Nach Übergabe des Wracks an den Eigentümer wurden in dessen Instandhaltungsbetrieb noch ca. 50 Liter Restkraftstoff abgelassen.

Brand

Es gab keinen Hinweis auf ein Feuer im Flug oder nach dem Unfall.

Organisationen und deren Verfahren

Luftfahrtunternehmen (A) in der Zuständigkeit des Luftfahrt-Bundesamtes und des Regierungspräsidiums Freiburg

Der Hubschrauber befand sich in Halterschaft eines in Deutschland vom Luftfahrt-Bundesamt (LBA) als Luftfahrtunternehmen (A) und Flugschule zugelassenen Unternehmens. Dieses Unternehmen verfügte zusätzlich über eine Ausbildungserlaubnis nach § 5 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) vom 26.02.1999 zur Ausbildung von Luftfahrzeugführern, erteilt vom Regierungspräsidium (RP) Freiburg.

Entsprechend der Aktualisierung des ersten Beiblattes zur Erlaubnis vom 27.06.2014 war der betroffene Fluglehrer in der Liste der genehmigten Fluglehrer aufgeführt und der betroffene Hubschrauber ausschließlich für den Einsatz für Schnupperflüge genehmigt. Nach Auskunft des RP Freiburg wurde bei der Erteilung der Genehmigung lediglich von vereinzelten Schnupperflügen vor Ort mit Interessenten an einer Flugausbildung im Rahmen der Ausbildungsgenehmigung bei diesem Halter ausgegangen. Flüge im Auftrag eines anderen Unternehmens oder einer Event-Agentur seien nicht Bestandteil der Genehmigung und lägen außerhalb der Intention der Genehmigung bzw. Zuständigkeit.

Nach Auskunft des Halters sollten mit dem Hubschrauber lediglich Schnupperflüge (von A nach A) durchgeführt werden. Überführungsflüge mit Passagieren bzw. Schnupperflüge von A nach B fanden ohne seine Kenntnis statt. Gegenüber dem RP Freiburg gab der Halter an, dass der Hubschrauber noch nie bei ihm eingesetzt und auch noch nie vor Ort abgestellt worden sei.

Luftfahrtunternehmen (B) in der Zuständigkeit des Luftamtes Südbayern

Der Hubschrauber wurde faktisch von einem anderen Luftfahrtunternehmen (B), das vom Luftamt Südbayern nach § 20 LuftVG genehmigt war, eingesetzt. Dieses Unternehmen hatte im Jahr 2014 einen Antrag zur Genehmigung einer Ausbildungsorganisation (ATO) mit Verwendung des betroffenen Hubschraubers beim Luftamt Südbayern gestellt. Dieser Antrag war jedoch noch nicht entschieden. Da der betroffene Hubschrauber nicht unter die Genehmigung des § 20 LuftVG fiel und eine ATO-Genehmigung noch nicht ausgesprochen war, sieht das Luftamt Südbayern keine Zuständigkeit bezüglich dieses Unfalls bzw. der durchgeführten Flüge. Über das Luftfahrtunternehmen (B) und eine Event-Agentur wurden Schnupperflüge und Rundflüge deutschlandweit akquiriert sowie der Hubschrauber und der Pilot örtlich wie auch zeitlich geplant und eingesetzt. Die am Unfalltag tätige Bodenhelferin stammte ebenfalls von diesem Luftfahrtunternehmen (B).

Zwischen diesem Luftfahrtunternehmen (B) und dem Eigentümer des Hubschraubers bestand ein Halterschaftsvertrag und ein ergänzender “Chartervertrag zum Halterschaftsvertrag” mit der Klausel 5): eine Weitervercharterung, im Sinne einer Weiterreichung des Luftfahrzeugs an Dritte, ist ausdrücklich ausgeschlossen. […] Zusätzlich wurde mit einem Instandhaltungsbetrieb ein Instandhaltungsvertrag und mit einem anderen Unternehmen eine Vereinbarung zur Aufrechterhaltung der Lufttüchtigkeit abgeschlossen.

Im Versicherungsnachweis für die Luftfahrt-Halterhaftpflicht war dieses Luftfahrtunternehmen (B) als Halter benannt. Nach Angaben des Luftfahrtunternehmens (B) wurde lediglich […] die praktische Organisation in kaufmännischer Hinsicht sowie die Abwicklungsorganisation vorgenommen, aber die luftrechtlichen Belange und die Halterschaft ausschließlich durch die Halterin wahrgenommen. […] Eine weitere Vercharterung des Hubschraubers durch das Luftfahrtunternehmen hat nicht stattgefunden. Es wurde lediglich die Halterschaft übertragen, dieses war mit dem Eigentümer selbstverständlich abgestimmt, […].

Auf Nachfragen der BFU gab der Eigentümer an, dass die Halterschaftsübertragung ohne seine Kenntnis erfolgt war.

Zusätzliche Informationen

Entsprechend der Zweiten Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (Dienst-, Flugdienst-, Block- und Ruhezeiten von Besatzungsmitgliedern in Luftfahrtunternehmen und außerhalb von Luftfahrtunternehmen bei berufsmäßiger Betätigung) (2. DV LuftBO) unterliegen Berufspiloten und Fluglehrer bei gewerbsmäßiger Betätigung zeitlichen Beschränkungen.

§ 7 Zusammensetzung der Flugdienstzeit

(1) Die Flugdienstzeit umfasst 1. die Zeiten für Vorarbeiten vom angeordneten Antritt des Flugdienstes bis zum Beginn der Blockzeit, mindestens jedoch eine halbe Stunde, 2. die Blockzeit, 3. mindestens 15 Minuten für Abschlussarbeiten nach dem Ende der Blockzeit, […]

§ 8 Zulässige Flugdienstzeiten der Besatzungsmitglieder

(1) Die uneingeschränkte Flugdienstzeit jedes Besatzungsmitgliedes zwischen zwei Ruhezeiten beträgt zehn Stunden.

(2) Innerhalb von sieben aufeinanderfolgenden Tagen ist eine viermalige Verlängerung der Flugdienstzeit nach Absatz 1 bis zu vier Stunden zulässig, […]

(3) Bei einem Luftfahrzeugführer, der während der Flugdienstzeit nach Absatz 1 ganz oder teilweise ohne Unterstützung durch ein weiteres Flugbesatzungsmitglied als Luftfahrzeugführer tätig wird, findet Absatz 2 keine Anwendung.

Sogenannte Schnupperflüge (Introductory flights) wurden von Seiten der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) im Rahmen der Verordnung (EU) No. 965/2012 luftrechtlich beschrieben: ‘Introductory flight’ means any flight against remuneration or other valuable consideration consisting of an air tour of short duration, offered by an approved training organisation or an organisation created with the aim of promoting aerial sport or leisure aviation, for the purpose of attracting new trainees or new members. […] (c) introductory flights, parachute dropping, sailplane towing or aerobatic flights performed either by a training organisation having its principal place of business in a Member State and approved in accordance with Regulation (EU) No 1178/2011, or by an organisation created with the aim of promoting aerial sport or leisure aviation, on the condition that the aircraft is operated by the organisation on the basis of ownership or dry lease, that the flight does not generate profits distributed outside of the organisation, and that whenever non-members of the organisation are involved, such flights represent only a marginal activity of the organisation.

Das Guidance Material (GM) 2 Article 6.4a(c) zur Verordnung (EU) 965/2012 beschreibt: The term ‘marginal activity’ should be understood as representing a very minor part of the overall activity of an organisation, mainly for the purpose of promoting itself or attracting new students or members. An organisation intending to offer such flights as regular business activity is not considered to meet the condition of marginal activity. Also, flights organised with the sole intent to generate income for the organisation are not considered to be a marginal activity.

Das Guidance Material GM1 ARO.OPS.300 (Introductory flights) zur Verordnung (EU) 965/2012 fordert entsprechende Beschreibungen und Festlegungen zur Durchführung von Schnupperflügen. For introductory flights carried out in the territory of the Member State, the competent authority may establish additional conditions such as defined area of the operation, time period during which such operations are to be conducted, safety risk assessments to be accomplished, aircraft to be used, specific operating procedures, notification requirements, maximum distance flown, pilot qualification, maximum number of passengers on-board, further restrictions on the maximum take-off mass.

Beurteilung

Der Unfall geschah beim Start zu einem sogenannten Schnupperflug gegen Entgelt von dem Sonderlandeplatz Melle-Grönegau zum Verkehrslandeplatz Essen-Mülheim. Aus Sicht der BFU bekam der Hubschrauber sehr wahrscheinlich beim Einkurven auf die Piste mit gleichzeitigem Durchsacken beim Beschleunigen in einem flachen Winkel mit einer Kufe Bodenkontakt und schlug um. Dafür sprechen die Beschreibungen des Passagiers, die vergleichsweise geringe Zellenbeschädigung am Hubschrauber, die Lage der Unfallstelle in Bezug zum Rollweg und Filmaufnahmen von der Steuerführung bei den vorherigen Starts.

Beigetragen haben könnten eine begrenzte Steuerfolgsamkeit, bedingt durch den vorne links außerhalb des zulässigen Bereichs liegenden Schwerpunkt des Hubschraubers, das hohe Abfluggewicht und die begrenzte Triebwerksleistung aufgrund der hohen Außentemperatur und Dichtehöhe. Anzeichen für eine Triebwerkstörung ergaben sich bei der Untersuchung nicht. Der Pilot verfügte über eine große Mustererfahrung mit dem betroffenen Hubschraubermuster. Er agierte in den der BFU vorliegenden Filmaufnahmen während der Schnupperflüge sehr selbstsicher.

Aus Sicht der BFU zeigen die vorliegenden Filmaufnahmen von vier der durchgeführten Schnupperflüge am Unfalltag Flugmanöver wie stark schiebende Flugzustände bei Reisefluggeschwindigkeit, Wirbelringstadium-Demonstrationen und hohe Triebwerkleistungsabforderungen, die einem Schnupperflug nicht angemessen waren und zum Teil unnötige Gefahren bzw. Belastungen für die Hubschrauberzelle oder Komponenten erzeugten.

Zusätzlich zeigen die Aufnahmen, dass der Pilot direkt nach dem Start und vielfach über längere Zeit den kollektiven Verstellhebel losließ und seine linke Hand auf der Steuerwippe ablegte, während gleichzeitig für ihn fremde Passagiere mit unvorhersehbarem Verhalten ihre Hand am kollektiven Verstellhebel hatten und womöglich das Drehgas manipulieren bzw. den Gouverneur überdrücken konnten. Beides kann bei dem Hubschraubermuster Robinson R22 schnell zu kritischen Rotordrehzahlen führen.

Der Unfall ist höchstwahrscheinlich auf mangelnde defensive Handhabung des Hubschraubers und sehr dynamische Flugdurchführung zurückzuführen. Zum guten “Airmanship” als Pilot gehört es, bei einem einmotorigen Luftfahrzeug jederzeit auf eine mögliche Triebwerkstörung durch entsprechende Verfahren oder entsprechende Flugwegwahl vorbereitet zu sein und reagieren zu können. Dies wird besonders erwartet von einem ausgebildeten Berufspiloten und Fluglehrer, der gegen Entgelt gewerblich tätig ist und von einem geeigneten Gelände operiert. Der Sonderlandeplatz Melle-Grönegau mit seiner ausgebauten Piste und dem hindernisfreien Gelände und die herrschenden Windverhältnisse schränkten in keiner Weise einen koordinierten gradlinigen Start bzw. Abflug entsprechend den Flughandbuchempfehlungen des Herstellers ein.

Ob dem Piloten bewusst war, dass zum Startzeitpunkt des Überführungsfluges nach Essen-Mülheim entlang bzw. knapp westlich der geplanten Flugstrecke unwetterartige Gewitter herrschten, bleibt offen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass ihm die Wetterentwicklung auf der Route nicht bekannt war, da er seit dem Morgen ununterbrochen fliegerisch tätig war.

Der Hubschrauber war nach einer 2.200-Stunden-Grundüberholung Anfang des Jahres neu in Deutschland zugelassen worden. Technisch befand er sich nahezu auf dem Stand eines neuen Luftfahrzeuges. In den Wartungsdokumenten fielen der BFU Ungenauigkeiten bzw. Widersprüche auf. So wurde die Freigabebescheinigung (Release to Service) nach der Grundüberholung Ende 2013 ausgestellt, bevor eine Wägung durchgeführt worden war. In den Dokumenten fehlten zum Teil Datierungen (Wägebericht und Bescheinigung der 50-Stunden-Kontrolle im Bordbuch). Ebenso waren Betriebszeitenangaben zu Hobbsmeter-Zeiten widersprüchlich (50-Stunden-Kontrolle). Auch wurde die letzte Wartungsmaßnahme außerhalb der genehmigten Betriebsstätte durchgeführt.

Die Auswertung der Filmaufnahmen und Tanknachweise ergab, dass der Tank entgegen den Angaben des Piloten vor dem letzten Start sehr wahrscheinlich nahezu vollgefüllt wurde. Zusätzlich ergaben Nachfragen, dass der Pilot mehr wog als er gegenüber der BFU angegeben hatte. Mit nahezu vollem Tank und der Gewichtsangabe des Piloten bei der letztmaligen Tauglichkeitsuntersuchung 17 Tage vor dem Unfall, dem Gewicht des Passagiers und der vorgefundenen Gegenstände im Hubschrauber ist aus Sicht der BFU sicher davon auszugehen, dass der Hubschrauber oberhalb der maximal zulässigen Masse betrieben wurde und der Schwerpunkt vorne links außerhalb des zulässigen Bereichs gelegen hatte.

Aus Sicht der BFU ist unklar, wer der tatsächliche Halter des Hubschraubers zu dieser Zeit war. Der registrierte Halter (Luftfahrtunternehmen (A)) gab gegenüber der zuständigen Landesluftfahrtbehörde an, dass der Hubschrauber noch nie bei ihm eingesetzt worden sei. Das andere involvierte Luftfahrtunternehmen (B) gab an, nur in kaufmännischer Sicht den Hubschrauber betrieben zu haben, jedoch nicht in Bezug auf luftrechtliche Belange, obwohl alle den Hubschrauber betreffenden Verträge (Versicherung, Wartungsvertrag, usw.) mit diesem Unternehmen abgeschlossen waren. Welches Unternehmen letztendlich verantwortlich war für flugbetriebliche Vorgaben, Organisation, Überwachung und Nachweisführung blieb für die BFU offen.

Eine entsprechend den luftrechtlichen Bestimmungen für den gewerblichen Flugbetrieb nötige flugbetriebliche Überwachung, z.B. durch einen Flugbetriebsleiter, ein unternehmensinternes Quality Management oder genehmigte betriebliche Verfahren hat nicht stattgefunden. Die luftrechtlichen Vorgaben für die Durchführung von Schnupperflügen entsprechend der Verordnung (EU) No. 965/2012 und dem zugehörigen Guidance Material waren aus Sicht der BFU nicht erfüllt bzw. konnten der BFU gegenüber nicht dargelegt werden.

Die Einschränkung der Verordnung auf “marginal activity of an organisation” lag bei dem Betrieb des betroffenen Hubschraubers deutschlandweit nahezu ausschließlich im Rahmen von Schnupperflügen nicht vor. Aus Sicht der BFU ist die Anzahl der im Bordbuch des Hubschraubers dokumentierten Flüge je Einsatztag des Hubschraubers aus Flugsicherheitsaspekten unzumutbar. Bei bis zu 17 Schnupperflügen am Tag mit unbekannten Passagieren, unbekannten Reaktionen und Verhalten kann eine Erschöpfung des Piloten auf Dauer nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere, wenn die hohe Anzahl von Flügen an einem der heißesten Wochenenden im Jahr 2014 stattfinden. Nachweislich wurde laut den Bordbucheinträgen wiederholt die maximal zulässige Flugdienstzeit im Einpilotenbetrieb missachtet.

Die Schnupperflugpassagiere mussten davon ausgehen, dass sie mit einem gewerblich operierenden Anbieter, d.h. einem genehmigten Luftfahrtunternehmen, flogen. Entsprechend waren das Auftreten der Bodenhelferin mit Firmenlogo, die Reklame am Hubschrauber und die aufgezeichneten Gespräche an Bord des Hubschraubers. Aus Sicht der zuständigen Aufsichtsbehörden, des Regierungspräsidiums Freiburg für den Halter, des Luftamtes Südbayern für das nach eigenen Angaben nur in kaufmännischer Hinsicht tätigen Luftfahrtunternehmens oder auch des Luftfahrt-Bundesamtes, war dies jedoch nicht der Fall.

Die Untersuchung des Unfalls wurde unnötig erschwert. Aufgrund der Aussage des Passagiers und der Filmaufnahmen eines außenstehenden Beobachters vor der letzten Betankung geht die BFU davon aus, dass der Unfallhergang durch das installierte Kamera- und Aufzeichnungssystem an Bord des Hubschraubers dokumentiert worden war, jedoch entgegen den luftrechtlichen Vorgaben des Flugunfall-Untersuchungs-Gesetzes der BFU nicht zur Verfügung gestellt wurde.

Schlussfolgerungen

Der Flugunfall ist auf eine ungewollte Bodenberührung des Hubschraubers in der Beschleunigungsphase beim Start zurückzuführen. Ein den luftrechtlichen Bestimmungen entsprechender Flugbetrieb des Hubschraubers lag aus Sicht der BFU in weiten Teilen nicht vor.

Sicherheitsempfehlungen

Empfehlung Nr.: 11/2015

Das Regierungspräsidium Freiburg sollte den Flugbetrieb des Luftfahrtunternehmens (A) im Hinblick auf die Beachtung und Einhaltung der luftrechtlichen Vorgaben überprüfen.

Empfehlung Nr.: 12/2015

Das Luftamt Südbayern sollte den Flugbetrieb des Luftfahrtunternehmens (B) im Hinblick auf die Beachtung und Einhaltung der luftrechtlichen Vorgaben überprüfen.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit.Quelle und Bilder, sofern nicht anders angegeben: BFU

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